Neubau Zentralbibliothek oder „Kollektiv der Zahlenjongleure“? – Teil IX: Der Besucher, das unbekannte Wesen – Ein maß(stabs)loses Argumentationswerkzeug [mit Slideshow]
Red. Politik & Wirtschaft [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Eines der Hauptargumente für den geforderten Bibliotheksneubau in Mönchengladbach sind die Besucherzahlen, die für das Jahr 2011 mit 475.740 angegeben werden. Auf den ersten Blick eindrucksvoll, ja Erstaunen hervorrufend. Aber nur auf den ersten Blick.
Würde diese Zahl stimmen und zwar in dem Sinn, wie man sie automatisch interpretiert, nämlich als Nutzer die einen Geschäfts- oder Arbeitsvorgang auslösen, bedeutet das pro Tag 1.903 und demzufolge pro Stunde 297 Besucher.
Gezählt werden die Besucher in der Zentralbibliothek an der Blücherstraße (vermutlich) hinter dem Windfang mittels elektronischer Zählschranke, wie man sie aus Kaufhäusern kennt. Einmal reingegangen = einmal gezählt = ein Besucher.
Nun weiß man, dass man nur Zahlen glauben soll, die man selbst in eine Statistik eingebracht hat. Das gilt uneingeschränkt auch oder gerade für die in der Deutschen Bibliotheksstatistik erfassten.
Da die Besucherzahlen als Argument für einen Bibliotheksneubau herangezogen werden, muss man sich zunächst einmal die Frage stellen, wie „Besucher“ definiert wird.
Dazu heißt es in den Erläuterungen zu dem Fragebogen für öffentliche Bibliotheken der Deutschen Bibliotheksstatistik unter Punkt 12:
„Als Zähleinheit gilt hier der tatsächliche Bibliotheksbesuch, d.h. wenn ein und dieselbe Person z.B. dreimal am Tag das Bibliotheksgebäude betritt, ist für sie der Zählwert 3 einzutragen. Die Ermittlung kann durch Stichprobenzählung oder durch Zählapparate erfolgen. Ein Besuch liegt vor, wenn eine Person die Bibliothek aufsucht, unabhängig davon ob diese Person eingetragener Benutzer ist oder nicht, bzw. ob sie Medien entleiht oder nicht. Zu zählen sind auch Besuche von Veranstaltungen, Ausstellungen und Führungen.“(Zitat Ende)
Als Besucher gelten auch die, die lediglich Bücher zurück bringen (auch am RFID-Terminal außerhalb des Gebäudes), was insofern nachvollziehbar ist, weil diese einen Arbeitsvorgang auslösen, da diese Bücher wieder in die Regale zurück gestellt werden müssen. Eine Legitimation für einen Neubau sind auch sie keinesfalls.
Diese „Definition“ erklärt die hohe Besucherzahl.
Damit nicht ein falscher Eindruck entsteht: Selbstverständlich ist es grundsätzlich positiv zu bewerten, wenn jemand den Weg in die Bibliothek findet, zumindest Interesse zeigt und über dieses Interesse zum Lesen kommt.
Die Familie als Besucher
Geht beispielsweise eine Ehepaar mit drei Kindern in die Bibliothek sind das fünf Besucher. Ist aber nur einer davon ein so genannter Entleiher oder, falls niemand etwas ausleiht, bleibt es bei fünf Besuchern. Also auf jeden Fall sind sie gut für die Besucherstatistik.
Hat nun ein Kind nicht genügend Geduld, wird unruhig, will nach draußen und ein Elternteil begleitet es, sind das, sobald sie wieder in die Bibliothek zurück gehen, wieder zwei Besucher.
Will heißen: aus den fünf realen „Besuchern“ wurden sieben.
Der neue Entleiher als Besucher
Und noch eine Variante: Ein neuer Interessent kommt in die Bibliothek und beantragt einen Bibliotheksausweis. Dann wird er als Besucher gezählt.
Nun muss er, damit er den Ausweis auch benutzen kann, auch bezahlen und das beispielsweise per EC-Karte.
Da der Besucher neu ist, wird ihm die freundliche Dame an der Rezeption gerne behilflich sein und weist ihn ebenso gerne am EC-Automaten ein, der im Windfang, also „vor“ der „Zählschranke“ installiert ist.
Beide gehen durch die Schranke in den Windfang zum EC-Automaten, kommen natürlich auch wieder (durch die „Zählschranke“) zurück und werden beide gezählt. In diesem Fall hat die Schranke zu einem echten Arbeitsvorgang drei „Besucher“ gezählt.
Wären die EC-Automaten innerhalb der Bibliothek aufgestellt, fielen in diesem Fall mindestens zwei Besucher aus der Statistik.
Fasst man diese beiden durchaus nicht außergewöhnlichen Fälle zusammen, wurden aus real nur sechs Personen, ZEHN elektronisch erfasste „Besucher“!.
Die Veranstaltungsteilnehmer als Besucher
Bei Veranstaltungen mit – sagen wir Jugendlichen oder Erwachsenden – kann das anders ablaufen: Rauchen ist in der Bibliothek verboten und das ist gut so.
Das Rauchen geht zwar zurück, aber angenommen 20% dieser Besucher sind Raucher und möchten dies auch in der Pause einer Veranstaltung nicht lassen, wären das sechs der 30 Besucher, die bei Betreten der Bibliothek gezählt wurden,.
Diese verlassen nun während einer Veranstaltungspause die Bibliothek, frönen ihrem Laster und kommen zurück. Ergo werden aus den tatsächlich 30 Besuchern 36, immerhin 20% mehr als wirklich anwesend waren.
Soweit die Zählsystematik.
Nun behaupten der Fachbereich Bibliothek und Museum und der zuständige Dezernent Dr. Gert Fischer (CDU) in der ominösen und vielzitierten Berichtsvorlage 333/VIII vom 12.07.2011, dass 60% der Besucher nichts ausleihen. Demnach tun dies, so wäre die daraus rechnerisch zu schließende Annahme, immerhin 40%. Nach Auskunft der Deutschen Bibliotheksstatistik sind es aber nur 5% Entleiher.
Diese Diskrepanz ist und bleibt unerklärt. Denn, eine „Aufklärung“ dazu gibt es aus Fischers Dezernat nicht.
In der Berichtsvorlage 333/VII heißt es ohne weitere Erläuterung zu den verbleibenden 40%: „Regelmäßige Zählungen bestätigen, dass 60% der Besucher keine Ausleihe tätigen, sondern die Bibliothek vor Ort nutzen, sich in der Bibliothek aufhalten, lesend verweilen, recherchieren, Informationen elektronisch abrufen, gemeinsam Referate bearbeiten, Familienforschung betreiben, historische Zeitungsbände einsehen u. v. m.“ (Zitat Ende).
Die einfache Frage: „Wie wurde „regelmäßig gezählt“ und die Zahl von 60% der Besucher ermittelt, die nichts ausleihen?“, die unsere Redaktion am Montag, den 05.04.2013 dem Dezernat über den Pressesprecher stellte, wurde bis heute (13.04.2013) nicht beantwortet.
Nun wissen wir aus einer früheren Anfrage, dass besonders dieses Dezernat „anderes zu tun hat, als uns Zahlen zu liefern“, dabei bezog sich die aktuelle Frage gar nicht auf Zahlen, sondern auf die Erklärung einer Aussage, die 2010 (und erneut auch 2011) den Politikern im Kulturausschuss gegenüber gemacht wurde.
Dass Besucherzahlen als „Alibi“ für einen Bibliotheksneubau gelten sollen, ist nicht nur fragwürdig, sondern schlicht unseriös.
Übel daran ist, dass Politiker solche Zahlen nicht hinterfragen, sondern übernehmen und fortan ebenfalls argumentieren, dass, wie es immer so schön heißt, die Bibliothek die „meistgenutzte Kultureinrichtung der Stadt“ ist.
Wie wir im Laufe dieser Themenreihe gelernt haben, beziehen sich die Besucherzahlen auf alle vier Bibliotheken in Mönchengladbach, wobei Fachbereichsleiter Guido Weyer in der Sitzung des Kulturausschusses am 21.02.2013 erklärte, dass in der Stadtteilbibliothek Rheydt täglich 1.000 Besucher „verzeichnet“ werden.
Unterstellt man, dass in Giesenkirchen und Rheindahlen insgesamt 103 Personen die dortigen (Schul)bibliotheken besuchen, verbleiben für die Zentralbibliothek an der Blücherstraße täglich 800 Besucher.
Verteilt auf eine täglich 8-stündige Öffnungsdauer würden (rein statistisch) in jeder Stunde 100 Besucher die Bibliothek betreten und verlassen, samstags noch mehr.
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Wie BZMG-„Vor-Ort“-Recherchen ergaben, sind dies maximal die Hälfte. In Spitzenzeiten wie z.B. an Samstagen werden diese Zahlen zwar erreicht, sind jedoch nicht repräsentativ für die restlichen Öffnungstage.
Die BZMG-Stichproben
- Freitag,08.03.2013 von 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr = 31 Besucher, davon 4 Kinder
- Samstag,09.03.2013 von 12:30 Uhr bis 13:30 Uhr = 117 kommende Besucher (52 Frauen, 38 Männer, 17 Kinder und Jugendliche) und 125 gehende Besucher (52 Frauen, 42 Männer, 31 Kinder und Jugendliche), sowie 2 Besucher, die draußen über das RFID-Terminal Bücher zurück gaben und somit auch als Besucher gelten. Zum Ende der Öffnungzeit ab 13:55 Uhr verließen insgesamt 49 Besucher die Bibliothek.
- Donnerstag,21.03.2013 von 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr = 47 Besucher, davon 5 Kinder
- Mittwoch, 27.03.2013 von 16:00 Uhr bis 17:00 Uhr = 58 Besucher, davon 11 Kinder
Fazit:
- Die Mönchengladbacher Besucherzahlen in der Deutschen Bibliotheksstatistik geben ein falsches Bild wider bzw. können schon auf Grund ihrer Zählweise nicht als Argument für einen Neubau gelten, weil die alte Bibliothek für die vermeintlichen Besucherströme zu klein geworden sei.
- Fachbereich und Dezernat können/wollen die Angaben in der Beratungsvorlage 333/VIII nicht erklären (40% Entleiher statt 5%).
- Die in den bisherigen Berichts-/Beratungsvorlagen angegebenen Besucherzahlen sind weder plausibel noch nachvollziehbar und als Argument für einen Neubau vollkommen ungeeignet.
1.
Rademacher schrieb am 13.04.2013 um 16:31 Uhr:
Hmm. Brauchen tun wir nirgends eine neue Bibliothek oder wie das jetzt hochtrabend heißt kein Dingsda-Kulturzentrum was weiß ich noch alles.
Richtig voll ist es auf den Bildchen mit 100 Leuten nicht wirklich. Also muss deshalb gar kein Neubau her? Frag ich jetzt mal so.
Wenn in Rheydt jeden Tag 1.000 Leute kommen, 200 mehr als in Gladbach, dann würde ich mal sagen, dass dort eher eine neue Bibliothek hin müsste als in Gladbach. Oder sehe ich das falsch? Also von den Zahlen her meine ich. Wirklich natürlich nicht.
Wichtiger als dieses Getöse um einen Neubau finde ich, dass die Schulbibliothekn bleiben.
Die sind wichtig. Davon müsste es viel mehr geben.
Krefeld hat die neue Mediothek seit 2005. Jetzt muss deshalb die Stadtteilbibliothek in Uerdingen geschlossen werden, weil das Geld nicht für beides reicht.
Ganz super: die Mediothek Krefeld macht auch noch erstmals Miese.
Also ehrlich, ob Krefeld ein gutes Vorbild für Gladbach ist?
Grüne und FDP kuckt mal genauer hin. Ohne rosarote Wünsch-Dir-Was-Brille.
Kein gutes Ohmen so ein Vorbild zu haben, das schon auf dem absteigenden Ast ist.