Gegensätze werden deutlich: IHK-Mittlerer Niederrhein vs. Pro Pflege–Selbsthilfenetzwerk

Red. Giesenkirchen [ - Uhr]

logo-PflegeAn der Hochschule Niederrhein gibt es zum Wintersemester 2010 einen neuen Fachbereich: Das Fach Gesundheitswesen, bislang im Fachbereich 09 integriert, wird selbständig. Sechs weitere Professorenstellen werden eingerichtet.

Für die Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein ist die boomende Gesundheitswirtschaft Grund genug, ein neues Netzwerk – den Arbeitskreis Gesundheitswirtschaft Niederrhein – ins Leben zu rufen.

Dieter Welsink, Mitglied der CDU in Neuss und Kreistagsabgeordneter, auch Geschäftsführer der medicoreha Welsink GmbH, hat sich dafür besonders stark gemacht.

„Jeder sechste Beschäftigte am Mittleren Niederrhein arbeitet in der Gesundheitswirtschaft. Darüber hinaus wächst die Branche kontinuierlich.

Allein im letzten Jahrzehnt wuchs die Beschäftigung in der Gesundheitswirtschaft um 10 Prozent, während sie über alle Branchen hinweg im gleichen Zeitraum um 4 Prozent abgenommen hat“, weiß IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Dieter Porschen, der zudem die Effekte auf die regionale Investitionstätigkeit hervorhebt. „Insbesondere die Investitionen der Krankenhäuser sorgen für einen spürbaren Impuls.“

„Wir versprechen uns durch den Arbeitskreis eine bessere Vernetzung unserer Branche in der Region“, erklärt Wolfgang K. Hoever. Der Krefelder Unternehmer hat dabei insbesondere die Effizienz des Gesundheitswesens im Blick.

„Es schadet dem System, wenn nur die reine Leistung abgerechnet wird. Meines Erachtens sollte auch der gesundheitliche Fortschritt des Patienten bezahlt werden.“ Bei einer alternden Bevölkerung werde die Effizienz des Gesundheitssystems zu einer wichtigen Größe.

Gisela Salz, Regionalgeschäftsführerin der Barmer GEK in Mönchengladbach sagt: „Wir müssen die Unternehmen sensibilisieren, verstärkt ein Betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen. In Zeiten der Rente mit 67 und einem verstärkten Fachkräftemangel sind Unternehmen auf gesunde, leistungsfähige Mitarbeiter angewiesen“.

Horst Imdahl, Geschäftsführer der Städtischen Kliniken Mönchengladbach, hofft, dass sich aus dem Arbeitskreis ein gemeinsamer Beitrag für eine höhere regionale Wertschöpfung ergibt. „Ich freue mich auf den Erfahrungsaustausch im Netzwerk mit vor- und nachgelagerten Institutionen“, so Imdahl.

Ein spannendes Aktionsfeld sieht er unter anderem im Gebiet des Hygienemanagements. „Dies ist nicht nur für Krankenhäuser, sondern auch für Pflege- und Reha-Einrichtungen ein wichtiges Thema.“

Die Vizepräsidentin der Hochschule Niederrhein, Prof. Dr. Saskia Drösler, ist ebenfalls Mitglied des Arbeitskreises. „Wir werden den Fachbereich Gesundheit bis zum Jahr 2012 von 8 auf 14 Professuren aufstocken“, berichtet Drösler, die selbst im Fachbereich Gesundheit lehrt.

„Zum Jahresende soll es eine Veranstaltung geben, bei der sich die neuen Hochschul-Professoren des Fachbereichs den Unternehmen und Institutionen der Gesundheitswirtschaft vorstellen“, so Drösler. „Wir bezwecken damit eine stärkere Verzahnung zwischen den Unternehmen auf der einen und Lehre bzw. Forschung auf der anderen Seite.“

Mit großer Sorge betrachtet Werner Schell, Pro Pflege–Selbsthilfenetzwerk, diese einseitige Entwicklung und hat mit einem offenen Brief sowohl an die IHK- Mittlerer Niederrhein und an Dieter Welsing als Mitglied der CDU in Neuss gewandt:

„Ich entnehme zunächst den Ausführungen, dass es dem Arbeitskreis vorrangig – oder sogar allein – um die Förderung wirtschaftlicher Belange im Gesundheitswesen geht. Damit folgt man offensichtlich den bundespolitischen Vorgaben, die seit Jahren „Ökonomisierung und Wettbewerb“ in den Mittelpunkt des Agierens gestellt haben.

Was m.E. bei der öffentlichen Botschaft im Zusammenhang mit der Arbeitskreiseinrichtung zu kurz kommt, sind die Belange der Patienten und pflegebedürftigen Menschen. Auch von den Pflegekräften, die sich zunehmend in einer Pflegenotstandssituation wiederfinden und den Angehörigen ist keine Rede.

Dabei kann ich auch dem Hinweis, dass das Thema „Gesundheitswirtschaft“ wissenschaftlich stärker angegangen werden soll, zunächst wenig positive Aspekte abgewinnen. Wenn ich mir die vielfältigen Probleme der MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen und die Interessenlage der Patienten und pflegebedürftigen Menschen. Auch von den Pflegekräften, die sich zunehmend in einer Pflegenotstandssituation wiederfinden und den Angehörigen ist keine Rede.

Dabei kann ich auch dem Hinweis, dass das Thema „Gesundheitswirtschaft“ wissenschaftlich stärker angegangen werden soll, zunächst wenig positive Aspekte abgewinnen. Wenn ich mir die vielfältigen Probleme der MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen und die Interessenlage der Patienten und pflegebedürftigen Menschen bzw. der Angehörigen ansehe, fallen mir vielfältige andere vordringliche Aufgabenstellungen ein.

Die Verwissenschaftlichung innerhalb der Gesundheitswirtschaft sollte zugunsten der intensiveren persönlichen Zuwendung den Menschen gegenüber in Grenzen gehalten werden.

Wir müssen aufpassen, dass demnächst nicht statt zuwendungsorientiert arbeitenden Pflegekräften vornehmlich Qualitätsbeauftragte, Manager mit verschiedenen Qualifizierungen, Prüfer von MDK und Heimaufsichten, Pflegewissenschaftler und vielleicht sogar Staatsanwälte an Kranken- bzw. Pflegebetten versammelt sind.

In der Gesundheitswirtschaft muss es m.E. vorrangig darum gehen, den Pflegenotstand anzugehen und damit für eine bessere Versorgungs- und Pflegesituation einzutreten. Auch die aktuell laufende Diskussion bezüglich der Krankenhaushygiene hat fast ausschließlich etwas mit finanzieller und personeller Not in den Einrichtungen zu tun.

Der vielbeschworenen Wertschätzung und Anerkennung für das Pflegepersonal müssen konkrete Maßnahmen folgen, die diesen berechtigten Anliegen zur Geltung verhelfen.

So ist z.B. aktuell zu beklagen, dass zahlreiche frisch examinierte Pflegekräfte nur eine unbefristete Anstellung in Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft finden oder sich mit Teilzeitbeschäftigungen abfinden müssen. Offensichtlich flüchten sich immer mehr Träger der Gesundheitswirtschaft, auch in kirchlicher Trägerschaft, in unzumutbare Vertragsangebote für die Pflegekräfte. Ein anderes Thema sind die „Personalauslagerungen“, um tariflichen Vergütungsstrukturen auszuweichen. – Wie sollen junge Menschen unter solchen Umständen Familien gründen, Kinder in die Welt setzen und gar noch für ihr Alter bzw. ihre Pflege vorsorgen?

Ich wollte Ihnen diese meine Gedanken übermitteln mit der Aufmunterung, dafür einzutreten, dass in dem gegründeten Arbeitskreis Gesundheitswirtschaft auch die Belange des Personals, der Patienten und der Angehörigen gebührend einbezogen werden. Darüber ist eine öffentliche Diskussion notwendig!“

BZMG wird weiter darüber berichten.

Vollständige Presse-Meldung der IHK-Mittlerer Niederrhein vom 28.07.2010

2 Kommentare zu “Gegensätze werden deutlich: IHK-Mittlerer Niederrhein vs. Pro Pflege–Selbsthilfenetzwerk”
  1. @ Kritiker

    Ihren Ausführungen kann man nur uneingeschränkt zustimmen.

    Die Ausführungen und Bedenken von Herrn Schell kann man nur unterschreiben!

    Dass die Personaldecke im Krankenhaus- und Pflegebereich an allen Ecken und Enden zu kurz ist, liegt nicht nur am fehlenden Personal, sondern den Bedingungen, die das Personal „vorfindet“ bzw. womit es konfrontiert wird. Denn auch hier findet sich das „Kostenbewusstsein“ wieder. Was grundsätzlich nicht verkehrt wäre, wenn nicht wieder einmal an der falschen Stelle gespart würde.

    Auch hier trifft leider zu: Wasserkopf Verwaltung und entsprechende Hierarchien. Zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer. Von denen, die „am Patienten arbeiten“ gibt es definitiv zu wenige.

    Was Herr Dr. Porschen ausführt ist uns allen nicht neu. Eine immer älter werdende Gesellschaft und Änderungen im Gesundheitssystem bringen dies alles unweigerlich mit sich. Das ist inzwischen hinlänglich bekannt.

    Wenn ich schon die Bezeichnung „Gesundheitswirtschaft“ lese, schüttelt es mich, ja, graut mir! Wer einmal etwas näheren Einblick in diese „Gesundheitswirtschaft“ nehmen durfte/mußte, hat berechtigte Bedenken und wird sowohl Herrn Schell als auch Kritiker nur zustimmen können.

    Der „verstärkte Fachkräftemangel“ sollte auch einmal aus einer anderen Warte betrachtet werden.

    Wer weiß und teils auch mitbekommt, wie es im Bereich Pflege und Krankenhaus zugeht, der überlegt sehr gut, ob er einen Beruf in diesem Bereich erlernen soll (bzw.ob er seinen ausbildungswilligen Sprösslingen dazu raten kann). Auch wenn jemand evtl. das Talent und Interesse, gar Passion dafür haben sollte.

    Die Arbeitsbedingungen sind hier meist suboptimal, um es höflich zu umschreiben.

    Wenn ich dann mit diesem Hintergrund lese, dass man „insbesondere die Effizienz des Gesundheitswesens im Blick habe“, schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken.

    „In Zeiten mit einem verstärkten Fachkräftemangel sind Unternehmen auf gesunde, leistungsfähige Mitarbeiter angewiesen“. Wie wahr!

    Fragt sich nur, wie lange diese Fachkräfte, bei den aktuellen Arbeitsbedingungen, gesund und leistungsfähig bleiben und nicht schnell selbst zu einem Opfer der „Gesundheitswirtschaft“ werden.

    Bitte schön, es steht allen in diesem Arbeitskreis versammelten Unternehmern frei, genau an dieser Stelle endlich einmal anzusetzen und mit wirklich guten Beispielen voranzugehen, statt nur auf den eigenen Profit aus zu sein. Den sollen sie auch haben – aber nicht immer die vergessen, die maßgeblich zu demselben beitragen.

    Die Kalkulationen dieses Wirtschaftszweiges würden mich einmal interessieren. Hat man doch häufig den Eindruck, dass sich hier die Waagschale kräftig zu Gunsten der „Gesundheitswirtschaft“ neigt.

    Nein, diese Lobbyveranstaltung kann es nicht sein.

    Übel vor allem, wenn sich ausgerechnet Unternehmen der „Gesundheitswirtschaft“ und Forschung & Lehre „verzahnen“. Da kann man nur hoffen, dass man sich nicht zu sehr ineinander „verbeisst“.

  2. Die hier beteiligten Protagonisten des IHK Arbeitskreises sind ausnahmslos wirtschaftlich ausgerichtet.

    Eine 100%-Lobby der Wirtschaft also. Und dieser Wirtschaft geht es ums Geldverdienen.

    Das ist erst einmal nichts Verwerfliches sondern „normal“ und folgerichtig.

    Eine Lobbyarbeit wie hier vereinbart wurde erhält jedoch schon alleine dadurch eine gewisse Note, dass sowohl die IHK als Dachorganisation eine CDU-Übergewichtung hat, als dieses Gewicht noch verstärkt wird durch einen „Initiator“ Welsink aus der CDU Neuss.

    Alle diese Faktoren sehe ich nicht als geeignet an, sich mit dem Thema „Personal in der Pflege“ oder „Personal im Krankenhaus“ in einer Weise zu beschäftigen, den sichtbar vorhandenen Notstand dort zu beheben.

    Dieses Gesundheitsnetzwerk Gesundheitswirtschaft zeigt schon in der Namensnennung den Willen, „für“ die Wirtschaft zu arbeiten.

    Und Wirtschaft wird leider so definiert, dass „nur“ Geld verdient wird und nicht, dass es den Heimbewohnern oder Patienten durch erhöhten Einsatz von gut geschultem Personal besser geht, oder das Hygiene-Problemen durch mehr Hygiene-Fachkräfte in Krankenhäusern besser begegnet werden kann.

    Auch diese Einstellung der „Macher“ in Wirtschaft und Politik wird der Wähler verstärkt zu berücksichtigen haben. Bei allen Wahlen.

    Die angestrebte Instrumentalisierung der Fachhochschule erscheint doch sehr bedenklich. Eine Topausbildung kann sie auch ohne diese Verzahnung leisten, oder?

    Aus Gründen der Gleichbehandlung bitte ich die Redaktion um Einblendung der Internetadresse: http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

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