Aspekte des Wählens • Teil XVIII: Können Motivationstrainings für Politiker Wähler (wieder) an die Urnen bringen?

Bernhard Wilms [ - Uhr]

[09.05.2017] Sobald Wahlen vor der Tür stehen, inszenieren sich Kandidaten als bürgernah, zugänglich, sachgetrieben und als aktives Mitglied der Gesellschaft, von der sie gewählt werden wollen.

Sind die Wahlen vorbei, fällt dieses öffentliche Bild häufig schnell von ihnen ab, sie werden zu einem Rädchen in der großen Maschinerie der Politik.

„Politiker, die ernst genommen und als Vorbild gesehen werden wollen, müssen mit einer konsistenten Persönlichkeit auftreten, die vor und nach den Wahlen überzeugt,“ meint Dirk Schmidt, Düsseldorfer Motivationstrainer.

Laut ihm geht es dabei schlicht um die Tatsache, dass sich ein Politiker seiner Volksvertreterrolle bewusst ist und dieses Bewusstsein auch glaubwürdig nach außen trägt.

Schmidts Empfehlung an die Politiker: „Die eigene Vorbildfunktion erkennen und umsetzen“.

Ob das allein reicht, und ein Mittel ist, Wähler (wieder) an die Urnen zu führen?

Wohl kaum, denn der von Schmidt identifizierte größte Vorwurf an die Politiker bleibt: „Politiker entfernen sich immer weiter von den Belangen ihrer Bürger, Parteien arbeiten an der Gesellschaft vorbei.“

Als Antwort wird ein Ruf nach einem Zwang zur Wahl laut, der Bürger an die Urnen bringen soll.

Motivationsexperte Dirk Schmidt hält dies für den falschen Weg: „Politiker müssen lernen, ihre Vorbildrolle zu verstehen und mit echten Inhalten Wege aus der Politikverdrossenheit aufzeigen.“

Begeisterung für Demokratie wecken – darin sieht Schmidt die dringlichste Aufgabe.

Und dafür kennt der Motivationstrainer erprobte Strategien, wie beispielsweise „Fragen aufwerfen – Fragen beantworten – die richtige Sprache finden“.

Eine solche „Strategie“ kann in Unternehmen und Organisationen mit meist homogenen und stringenten Strukturen durchaus erfolgreich sein.

Ob das jedoch auch für die durch und durch heterogene Wählerstruktur so sein kann?

Wohl kaum, denn Politik und Wählen hat viel mit Vertrauen zu tun.

Vertrauen, das nicht dadurch hervorgerufen oder gar gestärkt wird, wenn man jene, die von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch machen, als „Verweigerer“ bezeichnet und ihnen das Recht abspricht, wegen ihres „Nicht-Wählen-Gehens“ Kritik üben zu dürfen.

Denn viele Bürger fühlen sich von der Politik nicht verstanden.

Und andersherum verstehen sie nicht, was „die da oben“ eigentlich tun.

Die Verständnis-Kluft, in deren Mitte sich die Verdrossenheit eingenistet hat, wird in Zeiten globaler Krisen größer, sagt Schmidt.

Sie zu überwinden, wäre Aufgabe einer motivierenden politischen Arbeit, zu der jedoch die meisten (arrivierten) Politiker weder bereit noch in der Lage sind.

Im Mittelpunkt stehen für Dirk Schmidt die Fragen der Bürger, die sie an komplexe Krisen stellen:

Was hat das mit mir zu tun?

Welche Rolle spiele ich dabei?

Was könnte sich für mich ändern?

„Politiker, die diese Fragen entweder nicht aufgreifen oder mit abstrakten Phrasen beantworten, ebnen den Weg für polemische Stimmen, die bei vielen Bürgern schnell Gehör finden – eben weil sie Dinge benennen, die im politischen Establishment häufig umgangen oder paraphrasiert werden,“ meint Schmidt.

Allerdings wäre es laut Dirk Schmidt völlig falsch, sich auf dieses Parolen-Niveau zu begeben und reine Plattitüden zu verbreiten:

„Motivation für eine Sache entsteht nicht nur aus dem, was gesagt wird, sondern vor allem daraus, wie es gesagt wird. Und dabei geht es schlicht darum, konkreten Fragen mit konkreten Antworten zu begegnen – auf sachlicher, inhaltsgetriebener Ebene.“

Genau das – nämlich reine Plattitüden zu verbreiten – ist gängige Politiker-Praxis.

Ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene.

Für alle diese Ebenen gilt nach Schmidts Theorie die Aufforderung an die Politiker: „Begeisterung für die Sache wecken – Begeistert von der Sache sein“.

Seine Formel klingt einfach: Ein Politiker, der mit Begeisterung seine Aufgabe erfüllt, kann Begeisterung bei den Bürgern wecken.

Und Begeisterung ist der Kern jeder Motivationsarbeit.

Allerdings steht kurzfristiges Erfolgsdenken – in Prozentzahlen oder Parteisitzen oder eigenen Interessen – dieser Begeisterung im Weg.

Dabei gerät die eigentliche Vision oder Idee schnell und zwangsweise aus dem Fokus.

Wähler merken rasch, wenn eine politische Figur nicht aus Überzeugung, sondern aus eigennützigen Motiven handelt.

Daraus entsteht ein deutlicher Bruch zwischen Sagen und Handeln, in dem Motivationsexperte Dirk Schmidt eines der grundsätzlichen Probleme des aktuellen politischen Klimas identifiziert:

„Die Parteien und ihre Protagonisten können den Weg aus der Motivationskrise nur dann finden, wenn sie sich darauf besinnen, worum es bei Demokratie geht – wortwörtlich um die Macht, die vom Volk ausgeht. Und dieses Volk muss gesehen, gehört, für die demokratische Idee begeistert und verstanden werden.“

Und genau daran scheitern die Politiker, die mehr und mehr zu Lobbyisten in eigener und in Sachen Dritter avancieren.

Auf das weite Feld der Korruption sei an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.

Der Demokratie, die „vom Volke ausgeht“ steht das Prinzip der unserem politischen System zugrundeliegenden „Repräsentativen Demokratie“ diametral entgegen.

Aspekte des Wählens • Teil VIII: Welchen Wert haben Wahlen in einer „Repräsentativen Demokratie“ für wen? • Liegen „Wahlverweigerer“ wirklich falsch? [mit Videos]

Und das nicht zuletzt durch den Artikel 21 des Grundgesetzes („Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“), der von den Parteien nicht nur ignoriert, sondern sogar pervertiert wird, indem sie in der politischen Praxis auf allen Ebenen uni sono ihre eigene Version anwenden: „Die Parteien bestimmen die politische Willensbildung des Volkes“.

Daraus ergibt sich die Argumentation und auch das Verhalten von Politikern, die sich nicht scheuen ganz offen zu sagen: „Ihr habt uns eure Stimme gegeben. Also können wir damit machen, was wir wollen.“

Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob Politiker überhaupt ein Interesse an „Motivation der Wähler“ haben und ob das Gejammer über „schlechte Wahlbeteiligungen“ nicht doch kaum mehr ist, als eine wohlfeile Plattitüde.

 

 

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