Neubau Zentralbibliothek oder „Kollektiv der Zahlenjongleure“? – Teil V: Wie Dr. Jansen-Winkeln aus der Bibliothek eine Cafeteria machen möchte und sich dabei auch noch verrechnet
Red. Politik & Wirtschaft [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Wer die Rede von Dr. Jansen-Winkeln (Archivbild) anlässlich der Ratssitzung am 13.03.2013 hörte, war sicher einigermaßen überrascht. Wer den sich selbst gerne als kühlen, sachlichen Rechner sehenden Dr. Anno Jansen-Winkeln bisher im Rat erlebte, musste glauben, sich verhört zu haben.
Nicht wegen seiner Rechenspiele, nach denen im Sanierungsfall Blücherstraße der Haushalt mit 600.000 belasten würde und dank Neubau der Bibliothek ein sattes Plus von 340.000 Euro „Jahr für Jahr“ den Kämmerer erfreuen wird.
Schon der Beginn der Rede war im Hinblick darauf, dass es um einen Bibliotheksneubau ging, mindestens „ungewöhnlich“. Jansen-Winkeln erklärte (Zitat):
„Sie wollen eine Bibliothek für viele Bücher?
Wir von der FDP wollen das nicht.
Wir wollen eine Bibliothek für Menschen.
Eine lebendige Bibliothek, in der Bürger zusammenkommen, mit hoher Verweilqualität.
Eine Bibliothek, in der man gerne einen Kaffee trinkt, vielleicht einen kleinen Snack zu sich nimmt.
Einen Ort, an dem man sich verabreden kann, weil Bildungszugang Spaß macht.
Eine Bibliothek, die mitten im Leben liegt, auf Augenhöhe mit modernem Shoppingerlebnis, Teil eines jungen Lebensgefühls.
Eine Bibliothek, die nicht nur die Anforderung aller modernen Medien erfüllt, sondern die auch modernen Arbeits- und Kommunikationsformen gewachsen ist.“ (Zitat Ende)
Soweit die Einleitung der Rede des FDP-Fraktionsvorsitzenden.
Konnte man bisher der Annahme verfallen sein, dass Bücher, Menschen und Bibliothek einander bedingen und nicht in Konkurrenz zu einem „modernen Shoppingerlebnis“ treten müssen, ist das seit Jansen-Winkelns Rede ganz anders.
Ob man neben einem Kaffee (oder darf es auch Tee sein?) dort auch noch einen „kleinen Snack“ zu sich nehmen muss (dann aber bitte vor dem Entnehmen und Lesen von Büchern die Hände waschen und nicht krümeln!) ist sicher mehr als eine Geschmacksfrage.
Spaß an Bildung vermitteln ist erstrebenswert aber das funktioniert bestimmt ganz anders.
Diese vorstehend zitierte Einleitung bildete den Übergang zu den nicht minder befremdlich anmutenden Erläuterungen Jansen-Winkelns zu den Kosten eines Neubaus.
Dieser Teil seiner Rede ist als PDF hier nachzulesen.
Seiner Meinung nach bringt das Neubau-Konzept der Ampel für die Stadt erhebliche Einsparungen mit sich.
Die Sanierung beziffert Jansen-Winkeln mittlerweile schon mit 10 Mio. EURO (woher er auch immer diese Zahl haben mag).
Außerdem sei die Bibliothek „am alten Standort für die Zukunft nicht gut aufgestellt“ (was immer dies bedeuten mag), liegt sie doch zentral, mit vielen Internetarbeitsplätzen ausgestattet, gut erreichbar (sogar mit dem PKW) und auch noch mitten im Grünen in Toplage am ruhigen Adenauerplatz.
Außer den Belastungen durch ein Darlehen für die Sanierung, die er mit 500.000 Euro pro Jahr angibt, addieren sich nach FDP-Berechnungen noch „50.000 Euro höhere Energiekosten als bei einem Neubau und mindestens 50.000 Euro zu hohe Personalkosten durch die suboptimale Architektur“ hinzu, so dass dies im Sanierungsfall pro Jahr eine Haushaltsbelastung von 600.000 Euro bedeute.
Erstaunlich die Aussage zu den um 50.000 Euro höheren Energiekosten, die nach Jansen-Winkeln für den Standort Blücherstraße anfallen. Es wäre interessant zu erfahren woher er oder die FDP diese Zahl genommen oder erhalten haben.
Betrugen diese doch im Jahr 2012 für die Zentralbibliothek lediglich 26.900 Euro. Demnach müsste die neue Bibliothek ein mehr als Null-Energie-Gebäude sein, wenn diesen verhältnismäßig moderaten Kosten gegenüber Einsparungen von 50.000 Euro in seiner Berechnung Berücksichtigung finden.
Wie Einsparungen bei den Personalkosten von 50.000 Euro, die aktuell angeblich auf Grund „suboptimaler Architektur“ entstehen, zustande kommen sollen, konnte oder wollte der Fraktionsvorsitzende der FDP nicht vertiefen (aber die Zahl hörte sich gut an).
Bisher gibt es neben dem großen Bereich der Freihandbibliothek und Kinderbibliothek im Erdgeschoss noch das Obergeschoss, in der z.B. auch Medien wie CDs untergebracht sind. Zwei Etagen sind sicher nicht gerade der Traum von Bibliothekaren, im Hinblick auf den dadurch erforderlichen Personal(„mehr“)bedarf.
Allerdings ist eine „Personal-Einsparung“, die Jansen-Winkeln immerhin mit 50.000 Euro beziffert, für eine neue Bibliothek, die sogar drei Etagen haben soll, mehr als verwunderlich, wenn nicht gar eine abenteuerliche Berechnungsgrundlage.
Durch welche Art von „optimaler Architektur“ soll dieses Kunststück ermöglicht werden?
Für einen Neubau sieht Jansen-Winkeln in seinem Modell insgesamt 22 Mio. Euro (siehe PDF) vor, woraus sich Belastungen des städtischen Haushaltes von 1,01 Mio Euro ergeben sollen.
Diesen Kosten stellt er Mieteinnahmen aus Gewerbeflächen von 2.500 qm, die zusätzlich zu der Bibliothek geschaffen werden sollen, von 1,35 Mio. gegenüber, so dass, wie er ausführt, „Jahr für Jahr“ ein Plus von 340.000 Euro entsteht.
Mindestens einen Fehler, der mehr als nur ein „Schönheitsfehler“ ist, hat diese Ertragsberechnung allerdings.
Jansen-Winkeln zieht für die Miete der Gewerbeflächen den amtlichen Mietspiegel heran, nach dem die Kaltmiete für 1A-Gewerbeflächen zwischen 35 Euro und 65 Euro liegt.
Auf der Basis von, wie er meint, „vorsichtigem“ Heranziehen eines Mittelwertes von 45 Euro, den er auch für realistisch hält, ergeben sich die prognostizierten Mieteinnahmen von 1,35 Mio. Euro.
Das klingt gut, und lässt Kämmerer und Neubau-Strategen geradezu jubeln..
Nur, sieht die Realität anders aus.
Die obere Hindenburgstraße ist schon lange nicht mehr die 1-A-Lage, die sie einmal war. Auch hier „grassieren“ bereits Leerstände, die sich mit der Fertigstellung der Arcaden und des Umzuges von P & C dorthin eher noch vergrößern werden.
Wenn die Ampel glaubt durch den Bibliotheksneubau einen „Frequenzbringer“ zu installieren, dürfte dies eher einer Milchmädchenrechnung oder Zweckoptimismus gleichkommen (wobei „Milchmädchen“ sicherlich solider gerechnet hätten).
Sollten sich Mieter für die Gewerbeflächen finden, dürfte der Mietpreis bei 20 Euro/qm liegen, wie er aktuell in diesem Bereich zu Grunde gelegt wird. Jeder Cent darüber hinaus wäre mehr als ein Glücksfall.
Dass ein solcher Preis der Realität entspricht zeigt ein Aushang (Foto) an einem leer stehenden Ladenlokal in der Nähe des vorgesehenen geplanten Bibliotheksstandortes.
Alle Berechnungsversuche Jansen-Winkelns in Ehren. Hier scheint nur der Wunsch der Vater der Gedanken gewesen zu sein.
Tatsache ist nämlich, dass der Kämmerer nicht mit einem „satten Plus“ von 340.000 Euro pro Jahr, sondern (bei 25 Euro/qm Mieteinnahmen), mit einem jährlichen „Defizit“ von 260.000 EURO rechnen muss.
Würde man die aktuell von der DIMA erhofften (realistischen) Miete von 20 Euro/qm zu Grunde legen (siehe DIMA-Angebot), läge das „Defizit“ gar bei 410.000 EURO pro Jahr.
Auf solchen Zahlen und nicht konkret belegten Ideen (z.B. Energie- und Personaleinsparungen) einen millionenschweren Neubau zu kalkulieren ist gewagt, ja abenteuerlich, wenn nicht sogar unseriös und fahrlässig.
Dabei ist noch nicht thematisiert, wie Dr. Jansen-Winkeln (und die Ampel) die Neuschaffung von Verkaufsfläche mit dem „Kampf“ um die Verkaufsflächenbegrenzung in den ARCADEN erklären wollen.
Dass sich gerade die Grünen (schon seit ECE) für eine Begrenzung der HDZ-Verkaufsflächen eingesetzt haben und nun möglicherweise einer Vergrößerung im Umfeld zustimmen würden, ist schon Nachfragen wert.
4.
Stadtfilzer schrieb am 29.03.2013 um 18:20 Uhr:
@ Pincopallino
Das haben Sie sehr richtig erkannt. Die Politiker sehen mächtig alt aus.
Allerdings: Das stört diese Politiker nicht im Geringsten, und ist ihnen auch in keiner Weise peinlich oder unangenehm. Sie sind der Überzeugung RECHT zu haben und meinen das RECHT zu haben mit Steuergeldern in dieser unqualifizierten Weise umzugehen.
Die Ärmsten fühlen sich jetzt falsch verstanden und empfinden den Gegenwind als ungerecht.
Zu der von Ihnen zitierten Ignoranz gesellt sich vor allem Arroganz.
Lesen Sie bitte (falls Sie es noch nicht getan haben sollten), was Frau Gersmann/SPD in einer Pressemitteilung im Zusammenhang mit dem Bibliotheksneubau verlauten ließ:
“der Rat hat die Aufgabe die Stadt zu entwickeln und politisch zu gestalten. Er ist von den Bürgerinnen und Bürgern von Mönchengladbach gewählt und hat die Aufgabe nach sachlicher Diskussion zu entscheiden.“
http://www.bz-mg.de/politik-verwaltung-parteien/spd/gersmann-spd-zu-oberems-strafanzeige-notigung.html
Das beinhaltet kurz und knapp folgendes: wir sind gewählt, wir haben zu sagen, ihr Bürger habt zu nehmen was kommt. Fehlt nur noch das Bude-Basta (was die Äußerung von Frau Gersmann zum von Bürgern erteilten Mandat betrifft, zur Bibliothek hat er sich bisher mit keiner Silbe geäußert), dass dem nichts hinzuzufügen ist.
Die Jusos äußerten sich ähnlich:
“Das Thema beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt intensiv, das merken wir im täglichen Dialog. Wir meinen, dass es hauptsächlich Aufgabe der Ratsfraktionen ist, städtebauliche Entscheidungen zu treffen, dafür werden sie gewählt. Wenn man derartige Entscheidungen trifft, muss man dahinter stehen und diese auch vertreten” erklärt Johannes Jungilligens, Vorsitzender der SPD- Jugend.“
http://www.bz-mg.de/politik-verwaltung-parteien/spd/neubau-zentralbibliothek-jusos-erwarten-klare-haltung-der-fraktion-lothar-beine-in-der-kritik.html
Nur, dass die Jusos auch noch erwähnen (wenigstens zur Kenntnis genommen haben?), dass das Thema die Bürger beschäftigt. Trotzdem deren Feststellung, dass der Rat gewählt und demzufolge der „Bestimmer“ ist.
Für mich zeugen diese Aussagen von Abgehobenheit, Bürgerferne und bereits erwähnter Arroganz.
Traurig, dass der politische „Nachwuchs“ auch schon diese Meinung vertritt. Nix Fortschritt oder Bürgerbeteiligung – bloß nicht! Davon wird nur schwadroniert, ohne zu wissen, was es bedeutet. Phrasen, nichts als Phrasen, denn: Nur Politiker wissen was für Bürger gut ist!
Diese Bibliotheks-Neubaupläne sind in vielerlei Hinsicht ein Offenbarungseid der Politik. Die hätten wenigstens mal jemanden fragen sollen, der wirklich was davon versteht und nicht nur nach der Devise zu agieren: Bürger, ihr dürft Euch nun freuen, WIR wollen eine neue Bibliothek und bauen Euch deshalb eine, denn WIR haben das Mandat.
… und die undankbaren, per Wahl entmündigten Bürger wollen keine!
3.
Ypsilon schrieb am 25.03.2013 um 22:27 Uhr:
@ Henner Steigert
Klar ist das höhere Mathematik und nix für uns simpel gestrickte Bürger. Sowas nennt man heute Win-Win-Situation.
Mich würde die „optimale Architektur“, die sich personalsparend auswirkt, interessieren. Wie geht das bei dem Neubau mit den drei Etagen?
Vielleicht sollen das Rampen werden wie in Krefeld?
Dann ist das ganz einfach: Das Personal bekommt Rollschuhe oder Inliner und ab geht die Post! Rauf wird Kraft und Puste kosten, dafür geht’s runter ganz fix. Vielleicht noch mit einem Coffee-to-go in der einen und ‘nem Snack in der anderen Hand. Sozusagen als Zugabe für’s Personal kostenloses Fitness-Training.
Das spart den Gang ins Studio und das Geld dafür. So gesehen noch eine Win-Win-Situation.
Kann das wirklich alles wahr sein? Funktioniert so Politik?
Dann wundert mich nichts mehr.
2.
Henner Steigert schrieb am 24.03.2013 um 23:49 Uhr:
Würde jemand auf die Idee kommen, oben am Alten Markt ein Gebäude mit 2500 m² Geschäftsfläche zu errichten, um die dann für 45 €/m² am Markt anzubieten?
Ohne kostengünstiges Parkangebot in direkter Nachbarschaft, ohne vernünftige Busanbindung (die Busse sollen ja aus der Hindenburgstraße verlegt werden), ohne attraktive Erreichbarkeit für Fahrradfahrer (oben auf dem Berg, über Holperpflaster) ?
Fragen Sie mal die Banker, die lachen sich scheckig oder vergießen kübelweise Mitleidstränen.
Und dann hat man uns vorgerechnet, daß der Neubau einer Bibliothek am Markt alleine sich finanziell nicht trägt.
Soso.
Das eine funktioniert also nicht und das andere auch nicht.
Aber: Wenn man das eine, das nicht funktioniert, mit dem anderen, das auch nicht funktioniert, zusammen bringt, dann macht man sogar Gewinn ?
Das ist allerhöchste Mathematik, wie sie nur Gladbacher Politiker beherrschen!
…und so rechnen die seit Jahren; sonst würde unsere Stadt finanziell ja nicht so toll dastehen….
Pech haben bei der ganzen Sache nur die einschlägig bekannten Planungs- und Baufirmen in der Stadt…
das die bis heute überhaupt überleben konnten, ist mir ein Rätsel!
1.
Pincopallino schrieb am 24.03.2013 um 19:03 Uhr:
Im Gegensatz zu den ganz offensichtlich von der „Redaktion Politik & Wirtschaft“ der BZ-MG penibel recherchierten Zahlen haben sich die mit dem Neubauthema befassten Politiker wohl einfach nur von aus der Luft gegriffenen Zahlen blenden lassen.
Warum auch immer, aus Bequemlichkeit, Ignoranz, sträflicher Naivität oder …
Jedenfalls dürften diese neubaubefürwortenden „Politiker“ nach dieser Darstellung ganz schön alt aussehen – uralt!