„Politische Fehlsteuerungen mit Langzeitfolgen im Jugendbereich“ • Erklärung der Grünen im Jugendhilfeausschuss am 22. November zum Mönchengladbacher Haushaltsplanentwurf 2017

Dr. Gerd Brenner [ - Uhr]

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wieder einmal hat der Kämmerer mit seinem Team auf weit über 2.000 Seiten die städtischen Finanzen in schier endlosen Zahlenkolonnen geordnet.

Er hat alle losen Enden mühsam zusammengebunden und wieder ein beeindruckendes Gesamtwerk vorgelegt – und das auch noch termingerecht.

Dafür gebührt Herrn Kuckels und seinem ganzen Team Anerkennung und Dank. Sie haben in Ihrer Haushaltsrede erklärt: „Wir können mit Sparen allein die strukturelle Unterfinanzierung im Bereich der Sozialkosten nicht ausgleichen und sind deshalb auf Dauer darauf angewiesen, unsere Sozialstruktur nachhaltig zu verbessern.“

An diese Vision einer nachhaltigen Verbesserung der Sozialstruktur in Mönchengladbach will ich anknüpfen und deutlich machen, dass dieses Ziel – im Hinblick auf Kinder und Jugendliche – mit diesem Haushalt eher verfehlt wird.

Und das geht nicht so sehr auf ihr Konto, Herr Kuckels, sondern eher auf das der politischen Entscheider.

Meine Damen und Herren, in Mönchengladbach haben einige zur Zeit die Vision von einer „wachsenden Stadt“.

Die Mehrheitsfraktionen nehmen dafür viele Millionen in die Hand: für Baumaßnahmen und die Organisation von Sauberkeit.

Das Ziel der „wachsenden Stadt“ wird aber nur dann wirklich zu erreichen sein, wenn auch die soziale und pädagogische Infrastruktur der Stadt kräftig mitwächst.

Ansonsten wird die Stadt – gerade für Jugendliche und junge Familien – an Lebensqualität verlieren.

Geht man mit dieser Einsicht an den Entwurf für den Haushalt 2017 heran, dann stellt sich eine deutliche Ernüchterung ein: In der Stadt gibt es nur eine ganz einseitige Wachstumsdynamik.

Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und ihrer Eltern werden dabei vernachlässigt.

Woran lässt sich das festmachen?

 

1. Die frühkindliche Bildung in den Kitas wird stiefmütterlich behandelt

Unsere Kitas stehen vor großen Herausforderungen: Eine wachsende Stadt bedeutet mehr Kinder, die in Kitas aufgenommen werden müssen. Außerdem müssen

  • Öffnungszeiten bedarfsgerecht ausgeweitet werden,
  • die sehr hohen Überbelegungen in den Kita-Gruppen abgebaut werden,
  • Flüchtlingskinder integriert werden,
  • die Inklusion noch besser bewältigt werden und
  • die frühkindliche Bildung weiter verbessert werden.

Alles das ist personalintensiv.

Für ein angemessenes Wachstum im Kita-Bereich würden im nächsten Jahr deutlich mehr Stellen benötigt.

Das Gegenteil ist jedoch leider der Fall: Die Haushaltsplan für 2017 weist für die städtischen Kitas eine Deckelung der Stellenzahl aus (Haushaltsplanentwurf 2017, S. 916).

Stark wachsende Aufgaben sollen mit dem gleichen Personalbestand wie im Vorjahr bewältigt werden?

Wie soll das gehen?

Das wäre, wenn wir es so beschließen würden, eine politische Fehlsteuerung.

Von der Personalvertretung würden 2017 dann wohl noch mehr Überlastungssignale kommen als in den Vorjahren.

Strukturell verschärft sich die Lage dadurch, dass auch die Transferleistungen für die Kitas der Freien Träger im kommenden Jahr gegenüber dem Ansatz für 2016 um etwa eine halbe Million Euro sinken sollen (Haushaltsplanentwurf 2017, S. 917).

 

2. Der Ausbaustand der Ogatas an den Grundschulen ist unbefriedigend

In vielen Grundschulen gibt es lange Wartelisten für Eltern, wenn sie für ihre Kinder einen Platz in der Offenen Ganztagsschule (Ogata) wünschen.

In anderen Grundschulen fehlen solche Angebote vollends; denn die Ogata wurde in den letzten Jahren nur sehr schleppend ausgebaut.

Es ist erfreulich, dass die Forderung nach deutlich mehr Ogata-Plätzen nun auch in den Mehrheitsfraktionen angekommen ist.

Die bisherige Zurückhaltung war umso unverständlicher, als für die Stadt nur einmalige Investitionskosten angefallen wären; denn die laufenden Personalausgaben werden voll durch das Land übernommen und belasten den städtischen Haushalt keineswegs.

Jahrelang sind die Landesmittel für Ogatas zum großen Teil an Mönchengladbach vorbeigeflossen.

Das ist sehr bedauerlich.

Die jetzt bekannt gewordenen Ausbaupläne der Mehrheitsfraktionen sind nicht ambitioniert genug. Sie decken gerade einmal die Schulen ab, die bereits per Schulkonferenzbeschluss Ausbaupläne vorgelegt haben.

Es müssten allerdings noch zusätzliche Schulen für einen Ausbau gewonnen werden.

Außerdem sollte die Stadt alle Träger der Jugendarbeit ermutigen, ihre Zusammenarbeit mit den Grundschulen im Ogata-Bereich zu verstärken.

Das Gleiche gilt übrigens für den Ganztag in weiterführenden Schulen.

Voraussetzung dafür wäre allerdings eine gesicherte Finanzierung solcher Kooperationen; die gibt es nicht.

 

3. Viele Spielplätze sind und bleiben in einem beklagenswerten Zustand

In der Investitionsliste weist der Haushaltsentwurf für 2017 einen gleichbleibend niedrigen Ansatz von 40.000 € für die überschlägig errechneten 270 Spielplätze in der Stadt aus. Auch in den Folgejahren soll das so fortgeschrieben werden. Das bedeutet: Für junge Familien stehen pro Spielplatz und Jahr in der Stadt gerade einmal 150 € bereit – ein lächerlich niedriger Betrag. Kein Wunder, dass viele Spielplätze seit Jahren in einem beklagenswerten Zustand sind. Die lokale Presse berichtet regelmäßig darüber.

 

Auch dieses Beispiel macht deutlich, dass die soziale und pädagogische Infrastruktur der Stadt von der Gesamtentwicklung längst abgehängt ist und nicht mitwächst. Wir fordern deshalb deutlich mehr Investitionsmittel für den Neu-, Um- und Ausbau von Spielplätzen.

 

4. Auch die Jugendarbeit wächst nicht mit

Immer wieder werden Jugendliche im öffentlichen Raum massiv „auffällig“, in letzter Zeit z.B. rund um die City-Kirche.

Das ist in der Regel ein Signal dafür, dass die Offene und Aufsuchende Jugendarbeit in einer Kommune unterentwickelt ist.

In Mönchengladbach gibt es in der Hälfte aller Stadtteile gar keine Offene Jugendarbeit mehr.

Bei Konflikten mit Jugendlichen im öffentlichen Raum reagieren die Mehrheitsfraktionen reflexhaft mit repressiven Maßnahmen statt mit Jugendarbeit.

Der Stellenplan des Kommunalen Ordnungsdienstes soll folglich deutlich aufgestockt werden, während der Stellenplan der Offenen Kinder- und Jugendarbeit keineswegs wächst.

Das Prinzip „Repression statt Integration“ ist jedoch kurzsichtig; es löst keine Probleme, sondern verdrängt sie meist nur in andere Stadtteile.

Hier müsste die Stadt endlich umsteuern: Schwierige Jugendliche im öffentlichen Raum können nicht nur als ein Ordnungsproblem begriffen werden.

Sie sind in erster Linie als eine sozialpädagogische Aufgabe zu verstehen. Das muss sich, wenn man es wirklich ernst nimmt, auch im Stellenplan abbilden, tut es aber leider nicht. Die Personalkosten für die Offene Kinder- und Jugendarbeit der Stadt sollen sogar leicht sinken (vgl. S. 933 des Haushaltsplanspanentwurfs 2017).

Ein kleiner Lichtblick: Die Transferaufwendungen zur Finanzierung der Freien Träger steigen leicht von etwa 700.000 € im Jahr 2016 auf etwa 727.000 € im Jahr 2017.

Auch die Jugendverbände müssen im kommenden Jahr den Gürtel vermutlich noch einmal enger schnallen.

Im Bereich „Freizeit- und Lernhilfen sowie Ferien-, Freizeit-, Bildungs- und Begegnungsmaßnahmen“ sind im Haushalt Mittelkürzungen eingeplant (Haushaltsplanspanentwurfs 2017, S. 941) .

Auch diese Schrumpfung der Mittel ist für eine „wachsende Stadt“ höchst bedenklich.

Zwischenfazit:

Wir haben eine „wachsende Stadt“ – aber die öffentlichen Mittel für Kinder und Jugendliche wachsen nicht mit.

Die Stadt investiert in Ordnungsmaßnahmen mit repressivem Charakter statt in Pädagogik und wirkliche Problemlösung.

Die „wachsende Stadt“ verspielt damit in einem wichtigen Bereich ihre Zukunftsfähigkeit. Diese Fehlsteuerung können wir nicht mittragen.

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, Mönchengladbach hat nach wie vor große Probleme zu lösen.

Inwiefern trägt dieser Haushaltsentwurf zu ihrer Lösung bei?

Hilft er z.B. dabei, die sehr hohe Rate von Jugendlichen ohne Schulabschluss zu reduzieren?

Wenn man dieses Prüfkriterium anlegt, erkennt man, wie wenig zielführend dieser Haushalt ist.

Nach wie vor sind die Zahlen für Mönchengladbach erschreckend: Etwa 8% der Jugendlichen in der Stadt bleiben ohne jeden Schulabschluss – mit die höchste Rate in Nordrhein-Westfalen.

Das hat weitreichende Folgen für die Sozialstruktur der Stadt.

Welche Einflussmöglichkeiten hat die Kommunalpolitik, um diese Zahl deutlich zu reduzieren?

Bei diesen Jugendlichen geht in der Bildungskette von der Kita bis zum Schulabschluss an entscheidenden Stellen etwas schief. Und für die wohl wichtigste Weichenstellung sind wir als Jugendhilfeausschuss zuständig und mitverantwortlich.

Ein zentrales Problem dieser Jugendlichen ist, dass sie als Kinder nie oder nur kurze Zeit in einer Kita gewesen sind. Ihre Eltern sind nicht diejenigen, die vom Jugendamt einen schriftlichen rechtsmittelfähigen Ablehnungsbescheid fordern würden, nachdem sie vergeblich um einen Kitaplatz nachgesucht haben.

Dann würden sie vermutlich nämlich bald einen Platz bekommen, weil die Stadt keine Prozesse verlieren will; denn es gibt ja einen Rechtsanspruch.

Alles das tun diese Eltern nicht. In dem komplizierten Procedere des Zugangs zu Kita-Plätzen gehen manche Kinder schon früh verloren.

Frühkindliche Bildung in der Kita, das sagen Wissenschaftler immer wieder, ist jedoch gerade für Kinder aus prekären Lebensverhältnissen die Basis für eine gelingende Schulbildung.

Ohne eine gezielte frühkindliche Bildung in der Kita haben besonders Kinder aus bildungsfernen Familien bereits zu Beginn der Grundschule schlechte Startchancen. Sie fühlen sich bald abgehängt, resignieren in der weiterführenden Schule und verlassen diese schließlich ohne irgendeinen Abschluss.

Der Teufelskreis geht weiter: Auch die berufliche Ausbildung scheitert, die Jugendlichen bekommen keinen existenzsichernden Job und die Stadt muss über Jahrzehnte viele Millionen aufwenden, um ihnen Lebensunterhalt und Miete zu finanzieren.

Ein Versagen bei der frühkindlichen Bildung zementiert also eine problematische Sozialstruktur der Stadt.

Ausschlaggebend wäre also, dass in Mönchengladbach alle Kinder aus belasteten Familien mit großem Aufwand in die Kitas eingeworben werden. Die Realität ist aber leider eine andere.

Bei einem Versorgungsgrad von nur etwa 95% – in einigen Stadtteilen auch weit darunter, bei langen Wartelisten für viele Kitas und bei kaum noch steigerbaren Überbelegungen der Einrichtungen gibt es kaum Spielraum, um Kinder, die es besonders nötig hätten, zusätzlich und gezielt in die Kitas zu holen.

Dazu würde 2017 z.B. deutlich mehr Personal gebraucht. Das gibt es aber nicht. Und damit wird es leider keinerlei Spielraum geben, um die Chancen-Defizite von Kindern ganz am Anfang der Bildungskette gezielt abzubauen.

Die Verwaltung hat gar keine personellen Spielräume, um sich zusätzlich und gezielt um diejenigen Kinder zu kümmern, die frühkindliche Bildung dringend brauchen, aber ohne Kita nicht bekommen. Schon früh allein gelassen – bereiten sie der Stadt später dann große Probleme.

Auch an Grundschulen, die zu wenig Ogata-Plätze haben, fallen viele Kinder aus bildungsfernen Schichten durchs Raster.

Fazit:

Im Haushalt für 2017 dokumentieren sich einige politische Fehlsteuerungen mit Langzeitfolgen, besonders im Bereich Kinder und Jugend.

Was wäre nötig?

  • z.B. 500.000 € zusätzlich für die Einstellung und Qualifizierung von Kita-Personal,
  • z.B. 500.000 € zusätzlich für Investitionen zum Ausbau der Ogata,
  • z.B. 300.000 € mehr für den Neu-, Um- und Ausbau von Spielplätzen,
  • z.B. 200.000 €  zusätzliche Mittel für den Ausbau der Offenen und Aufsuchenden Jugendarbeit (z.T. für die Freien Träger).

Im nächsten Ratszug, in dem der Haushalt verabschiedet werden soll, werden wir solche Mittel beantragen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

2 Kommentare zu “
„Politische Fehlsteuerungen mit Langzeitfolgen im Jugendbereich“ • Erklärung der Grünen im Jugendhilfeausschuss am 22. November zum Mönchengladbacher Haushaltsplanentwurf 2017”
  1. @ Kerstin Königs

    Richtig. Totaler Quatsch diese Sauger.

    Sieht schnell wieder genauso aus wie vorher. Viel zu viel Verpackungsmüll der von „to go“ (Kaffee, Döner, Pommes etc.) und was auch immer stammt, wird achtlos hingeschmissen wo die Leute grade gehen oder stehen.

    Kippen, Kaugummi etc. genauso. Da muss angesetzt werden und mal der Ordnungsdienst oder diese Politessen zum Kassieren eingesetzt werden. Die Gesetze dafür soll es doch angeblich geben.

    Die Leute kapieren seeehr schnell, wenn Müll und Kippen achtlos wegwerfen und Kaugummi (eklig!) und übleres (noch ekliger!!) überall aus- und hinspucken kostet.

    Bringt garantiert mehr als dieser lächerliche Saugwahn.

    Hauptsache die „wichtigen“ Stellen dieser Stadt werden gehätschelt, gepäppelt und gesaugt als müsse dafür gesorgt werden, dass diese Stellen auch Staub-Allergiker-geeignet sind.

    Kinder und Jugendliche? Die sind noch jung, die haben noch viel Zeit und können warten! Also bitte ganz hinten anstellen.

  2. Endlich jemand der mal Klartext redet!

    Die überteuerte Sauberkeitsoffensive ist totaler Quatsch. Aber wir alle müssen dafür bezahlen, weil die GroKo es entschieden hat.

    Bin mir sicher, dass viele Bürger bessere und kostengünstigere Lösungen haben.

    Der Bismarckplatz und andere „wichtige“ Plätze in dieser Stadt werden sogar gesaugt.

    Ich behaupte, dass das vollkommener Blödsinn ist und vor allem die Verkäufer dieser teuren Staubsauger davon profitiert haben.

    Etwas lächerlicheres gibt es kaum noch als diese Dinger. Auch der Zeitaufwand ist unverhältnissmäßig. Wir brauchen keine staubfreie Stadt. Das klappt sowieso nicht.

    Der andere Müll landet schon kurz danach wieder dort wo grade gesaugt wurde. Was soll das??? Was bringt das zeitaufwendige Saugen?

    Dagegen: Bei Kindern, Jugendlichen und Schulen wird gespart. Eine Frau Finger meint sogar, dass es wichtigeres gibt als saubere Schultoiletten! Viele WCs sind die reinsten Kloaken und stinken schon von weitem bevor man in diesen ist. Einfach nur widerlich!

    Streetworker, Jugendeinrichtungen – überall muss gespart werden. Obwohl die Probleme nicht erledigt sind.

    Das ist geradezu pervers, weil grade die CDU und die SPD immer verkünden wie wichtig denen Kinder angeblich sind.

    Die scheuen sich aber nicht mal Geld, das für die Schulen ist für den Traum vom Rathausneubau zu nehmen. Eigentlich ist das doch irgendwie Diebstahl. Oder?

    Zur Sauberkeit: wie wäre es mal in den Stadtteilen mit demselben Elan ran zu gehen? Oder zählen nur Prestigeobjekte?

    So kriegen die keine neuen Bürger in die Stadt.

    Schon gar nicht welche mit Kindern. Gutverdiener auch nicht. Die haben Ansprüche über ihre super gepflegte und vor allem ruhige Einfailienhaussiedlung hinaus.

    Die sind sehr offensichtlich aber wichtiger als die schon seit Jahren für alles zahlenden Bürger Mönchengladbachs.

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