„Romeo und Julia“ im Stadttheater: Tolle Vorstellung mit sich selbst übertreffenden jungen Künstlern im Stadttheater
Red. Theater [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Wie fast immer wurde der Bühnenvorhang nicht eingesetzt. Dadurch kamen die Zuschauer bereits beim Eintreten in den Zuschauer-Raum in den Genuss eines sehr phantasievollen Bühnenbilds, das dem Betrachter viele Möglichkeiten zu mitarbeitender Phantasie bot. Vor allem der Hintergrund der Bühne.
Hängende Metallröhren, die zu fast allen Handlungen der Darsteller verwendet wurden, außerdem der Bühnenmusik als kleine Abdeckung dienten, mitklangen, mitsangen, mitdröhnten.
Eine tolle Sache.
Weit weniger gut war die Idee, den Bühnenboden mit Asche zu bedecken. Knöchelhoch, faserig und stinkend bis in den Zuschauerraum, behinderte er die Darsteller und irritierte hierdurch das Publikum.
Nachdem doch schon einige Male Seltsamkeiten hier gesehen wurden, z.B. 2010/2011 beim Woyzeck eine Drehscheibe, auf der der Hauptdarsteller ständig rennen musste, 2011/2012 der Sommernachtstraum, wo der Boden mit vielen Zentnern Äpfeln, Lebensmitteln also, über die die Darsteller ständig stolperten, belegt war, 2012/2013 der Kirschgarten, bei dem der Bühnenboden mit zentimeterhohem Wasser bedeckt war, dann YA Basta im Studio, wo der Sand auf dem Boden den Darstellern als Schonschicht bei ihren Sprüngen diente? 2013/2014 beim Besuch der alten Dame versank die Bühne in stinkendem Müll, von dem auch noch stinkende Dämpfe aufstiegen.
Im Lear war es Zeitungspapier, irgendwo dann auch nochmal Heilerde, wo war das nochmal? Im Menschenfeind ein sich auf und ab, seitwärts, bewegender Boden, usw.
Das sind nicht etwa Vorwürfe gegen Frau Sigi Colpe, die hier gewiss Vorstellungen hatte, die auf der Bühne jedoch nicht rüber kamen.
Ich denke dass sie vielleicht sinnbildlich hier erblühende junge Liebe meint, einen Phoenix, der durch den Tod aus der Asche entsteht.
War dieser schallschluckende Belag etwa der Grund, für die Schauspieler, die doch oft bewiesen, mühelos stimmlich über die Rampe zu kommen, hier Mikroports einzusetzen?
Eine schlechte Idee, die Textverständlichkeit litt extrem durch Übersteuerungseffekte, die gerade bei dramatischen Partien auftraten.
Auch ist nicht gerade förderlich, wenn man den Ton von rechts hört, der Schauspieler sich aber auf der linken Seite befindet.
Oder aber wollte der Regisseur Hüseyin Michael Cirpici Nähe zum Musical? Das war beim lebendigen Spiel auf der Bühne aber wirklich nicht nötig!
Hervorragende Lichtregie , die Kram auf der Bühne überflüssig machte. Sie zauberte sehr viel Atmosphäre ins Geschehen.
Zur Aufführung
Es war einfach umwerfend, was der Regisseur mit den Schauspielern unseres Hauses vollbrachte.
Eine, sich trotz sehr einschneidender Kürzungen, absolut vollkommen darbietende, die ausgefallenen Texte nicht vermissen lassende Aufführung.Das Werk vom Ende her aufzuzäumen erscheint mir hier als legitim.
Die sogenannte Balkonszene war ein bisschen herb gekürzt, da hätte man doch gern etwas mehr gehabt, während am Schluss die Szene nach dem Tod der Liebenden mir viel zu lang, zu gequält klang, der lange Monolog des Pater Leonardo wurde arg langweilig.
Da hätten die Worte des Escalus (Joachim Henschke) „Die Sonne verweigert uns ihr Licht“ gereicht.
Zur Darstellung
Einfach überwältigend, was über die Rampe kam!
Endlich einmal als Romeo und Julia zwei junge, noch jünger wirkende Darsteller, Jonathan Hutter und Helen Wendt.
Wie hingebungsvoll wurde hier mit jeder Geste die quellende Liebe gezeigt, in kleinen, sehr aussagekräftigen Bewegungen, mit lebhaftester Mimik, wunderbarsten Abtönungen der Sprache, die selbst durchs Mikroport nicht entstellt werden konnten.
Die Balkonszene (bei Shakespeare ist übrigens von Balkon keine Rede), geriet gerade durch körperliche, nicht sexuelle Nähe, zu einer wunderbar zärtlichen, intimen Aussage.
Schöner geht’s nicht.
Dieses machte die Kampfszenen die zwischen den Mitgliedern der Familien Montagu und Capulet ausgetragen werden, hier als Kampf des Tybalt, den Cornelius Gebert hasserfüllt bestreitet, liebt er doch Romeo, gegen den Freund Romeos, Mercutio, den vermeintlichen Nebenbuhler, wunderbar von Paul Steinbach gegeben, auch zu einer Entscheidung Romeos zwischen einem homosexuellen Verhältnis zu einem Capulet und seiner Liebe zu Julia, auch einer Capulet zu einen effektvollen Gegensatz.
Tybalt tötet Mercutio, Romeo rächt den Tot des Freundes und tötet Tybalt.
Romeo wird verbannt.
Eine Szene, die ich so noch nie gesehen habe, aber richtig unter die Haut ging.
Auch die Sterbeszene war von höchster Qualität. Wunderbar bewegend die beiden junge Leute.
Die sogenannten Nebenrollen, die wirklich keine sind, zeugten wieder einmal von der hohen Qualität des Ensembles.
Eva Spott, Amme, in jeder Phase, jeder Bewegung, jeder Mimik, jeder sprachlichen Finesse eine mitreißende Darstellerin, komisch und dramatisch gleich gut.
Welch eine Schauspielerin!
Pater Leonardo, Christopher Wintgens, spielte die undankbare Partie des Pater Lorenzo, vielleicht etwas gehemmt durch sein scheußliches Kostüm.
Auch die anderen Schauspieler, Esther Keil als Lady Montagu, als Gregoria, als Antonia, Nele Jung als Lady Capulet,
Adrian Linke als Montagu, als Paris, als Apotheker, Bruno Winzen als Capulet, Joachim Henschke als würdiger, sprachgewaltiger Escalus, füllten ihre Rollen toll aus.
Die Personenregie von Hüseyin Michael Cirpici habe ich bewundert, jede Bewegung, jede Haltung war mit den Mitwirkenden schlüssig erarbeitet. Schönstes Theater.
Die Bühne von Sigi Colpe war bis auf den unnötig bedeckten Boden ganz toll, die Kostüme bis auf den wie man hier sagt “Schlomm“ von Bruder Lorenzo zeitlos und gut.
Die Live- Bühnenmusik, stets in Dienste des Werks, empfand ich als absolut stimmig und stimmungsvoll.
Ein Lob den beiden Musikerinnen Saskia von Klitzing und Julia Klomfaß.
Das reich mit jungen Leuten, die sich vorbildlich benahmen, durchsetzte Publikum spendete nach einem Moment des Innehaltens großen, später auch sehr lauten Beifall, der auch das Regieteam einschloss.
Fazit:
Ein ganz großer, bewegender Abend, den sich jeder theaterinteressierte Mensch, junge Menschen, Shakespearefreunde ansehen sollen.
Große Spannung, atemloses Zusehen und Zuhören, so etwas erlebt man selten.
Herbert Rommerskirchen