Doppel-Opernabend mit Puccinis „Le Villi“ und „Suor Angelica“ im Stadttheater
Red. Theater [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Sehr zwiespältig reagierten viele Besucher der Premiere dieser beiden Werke am 20.01.2013 auf das, was hier als Musiktheater geboten wurde.
Wenn man die beiden Worte Musik und Theater trennt, kommt man vielleicht zu Sinn und Unsinn dieses Abends.
Musikalisch einfach überwältigend. Was den Sängern und dem Publikum aber als Theater zugemutet wurde streift zumindest die Grenzen des Erträglichen und des guten Geschmacks.
Bei der Premiere am 05.06.2011 in Krefeld hätten viele Besucher ihrem Unmut am liebsten handgreiflich Ausdruck verliehen. Es war dort ein ausgewachsener Skandal.
War die Inszenierung hier entschärft? In der Pause konnte ich hierzu Bemerkungen hören, in denen dieses behauptet wurde.
Zu Missfallensäußerungen wurde dem unglaublich disziplinierten Publikum hier keine Gelegenheit gegeben, das Regieteam erschien geschlossen nicht (!) auf der Bühne. Man war weg!
Die Sänger der Le Villi, die seltsamerweise am Schluss nochmals auftauchten, wurden, da man da die Regisseuse und ihr Team erwartete, mit Buhs empfangen.
Ein bedauerlicher Irrtum!
Allerdings stellt sich hier die Frage, warum diese Produktion, die, wie im Jahresheft 2010/2011 bereits in der Spielzeit 2011/2012 erscheinen sollte erst jetzt hier zur Aufführung kam.
Zu den Werken und deren Ausführung:
„ Le Villi“, Puccinis Erstlingswerk, sollte man nach Meinung vieler Dirigenten und Regisseure nicht auf die Bühne bringen. Die Musik des jungen Puccini hat aber durchaus ihre Qualitäten.
Vielleicht könnte man die Schwächen des Librettos übertünchen, wenn man zum musikalischen Teil ein Ballett choreografieren würde.
Lt. Libretto spielt das Werk in einem Schwarzwälder Dorf, es gibt eine Verlobungsfeier, der Verlobte Annas muss in einer Erbschaftsangelegenheit weg, von der doch dann Beide profitieren könnten.
Als Anna erfährt, dass ihr Geliebter sich einer anderen Frau zugewandt und sie vergessen hat, stirbt sie vor Gram, einer damals scheinbar sehr beliebten Todesart. Der Geliebte Robert kehrt, aus welchen Gründen auch immer, in den Schwarzwald zurück und erfährt vom Tod Annas und, wie nicht anders zu erwarten, entbrennt er in Liebe zu der zu den Villis entfleuchten Anna.
Die Villis sind ein Verbund anderer, vor der Hochzeit verlassener und vor Gram gestorbener Jungfrauen, die zu Geisterwesen geworden sind. Da Anna von ihrem Vater zur Rache angehalten wurde, helfen die Villis Anna hierzu. Sie tanzen den armen Robert zu Tode, wunderschön von Anna musikalisch umrahmt.
Wie will man das heute darstellen.
Frau Blankenship hat eine nicht ganz neue Lösung gewählt, die von vielen Kollegen verwendet wird.
In Ihrer Sicht sieht Anna die ganze Geschichte, natürlich etwas anders, in Wahnvorstellungen. Den Boden ständig scheuernde Frauen, die dann auch in die Suor Angelica übernommen werden.
Den Chor verbannte sie weitestgehend hinter die durchsichtigen Wände. Chorführung ist auch wirklich schwer. Das kommt nicht von mir, Harry Kupfer hat es wohl gesagt. Drei Wellness-Duschen (kalt ?) sind wahrscheinlich zur Ruhigstellung der Neuankömmlinge da.
Die durchsichtigen Wände sollen wohl einen Raum in einer kirchlichen Institution für gefallene Mädchen darstellen.
Warum Anna hier von ihrem Vater eingeliefert wird, erschließt sich mir nicht, Anna kann kein gefallenes Mädchen sein, da die Villis, die sie zu sich nehmen, doch ausschließlich Jungfrauen sind.
Hier kommt es dann, wie könnte es anders möglich sein, zu einer Zwangsabtreibung, sie wird in sehr widerlicher Weise immer wieder in den Bauch geboxt. Blut in rauen Mengen. Ekelhaft!
Anna und die anderen Insassen müssen an Waschzubern wahrscheinlich Hektoliter Blut aus der Bettwäsche waschen usw.
Der reumütige Robert wird, auf einer Waschmaschine sitzend, von einem sogenannten Bewegungsensemble (Villis?) heftig bedrängt. Während sich die arme Anna immer wieder mit Blut beschmiert , stirbt er.
Als Fortsetzung sieht Frau Blankenship scheinbar die Suor Angelica.
In den Villi Anna als Rächerin, in Suor Angelica die Angelica als Dulderin?
Wurde Frau Hobbs als Angelica deshalb schon in den Villi auf die Bühne geschickt, um dort zu sehen, wie sie es nicht machen sollte?
Das Klosterleben wird in dieser Inszenierung recht deutlich gezeigt, die nicht als Putzen beschäftigten Nonnen müssen nähen, Angelica ist zum Bügeln verdammt.
Die Geschichte ist ganz einfach gestrickt, Angelica hat ein uneheliches Kind und wird von der bigotten Verwandtschaft ins Kloster geschickt.
Dort erlebt sie das Klosterleben in dieser Inszenierung in voller Blüte, Nonnen werden von der Äbtissin bestraft, wahrscheinlich von den am Rande erscheinenden Patres vernascht, sollte das vielleicht darauf hinweisen, dass nicht nur bei Knaben Missbrauch passiert? Wird der kath. Kirche nicht sehr recht sein.
Ihre Fürstin-Tante erscheint und verlangt den Verzicht auf ihr Erbe zugunsten der heiratenwollenden Schwester. Als sie sich nach ihrem Sohn erkundigt, teilt die Fürstin ihr mit, dass er doch längst gestorben sei.
Anna wählt nun in einer herzbewegenden Arie „Senza mamma“ den Freitod und schluckt tödliche Kräuter aus dem Klostergarten.
Während des Dahinsterbens erscheint der tote Sohn leibhaftig und körperlich auf der Bühne. Die Nonnen bringen haufenweise vom Sperrmüll gesammelte Gips-Madonnen, zum Schluss dann noch, wenn ich es richtig gesehen habe, eine fast nackte Frau (Maria?) am Kreuz.
War es Musiktheater? Mir erschien es eher Ähnlichkeit mit einem Horror-Sado-Film zu haben.
Zur musikalischen und darstellerischen Seite der Aufführung:
Le Villi
Hier kann man nur in Superlativen urteilen.
Was die Sänger hier bis zu Selbstaufgabe leisten mussten, verdient höchste Anerkennung.
Janet Bartolova verkörperte die Anna bravourös, sang dazu ganz wunderbar. Kairschan Scholdybajew hatte Gelegenheit, die Strahlkraft und Schönheit seiner Stimme zu zeigen, Johannes Schwärsky verfügt über einen sehr wohlklingenden Bass-Bariton, der in der Mittellage füllig ist, zur Höhe hin jedoch verengt. Das müsste doch zu beheben sein.
Der Chor klang nicht immer ganz einheitlich in den Männerstimmen, zwischen Bühne und Graben gab es hier kleine Differenzen.
Das Orchester spielte unter der fordernden Leitung unseres GMD Mikhel Kütson hervorragend.
Und dann kam musikalisch und schauspielerisch der „Knaller“!
An der Spitze möchte ich hier die herrliche Dara Hobbs nennen.
Was sie, die ständig auf der Bühne steht, zu leisten hat, ist fast übermenschlich. In jeder Sekunde ist sie die gedemütigte, liebende, sich nach ihrem Kind verzehrende Kreatur.
Dass sie hierzu stimmlich unglaublich ist, und das nach dem Singen einiger Isolden, war umwerfend.
Wie sie ihre Phrasen singt, wie sie Pianotöne in der Schlussarie singt, in den höchsten Lagen ohne jede Mühe, bei einer Isoldenstimme, die auch die C´s aussingen kann, verdient höchste Bewunderung.
Eva Maria Günschmann wurde der Fürstin schauspielerisch und stimmlich in jeder Weise gerecht, wie sie ihre Stimme zu Tönen brachte, die eigentlich nur von italienischen Schlagtot-Altistinnen zu hören sind, war große Klasse.
Auch die Äbtissin der Katharina Ihlefeld bestach durch große Präsenz und Ausfüllung ihrer grässlichen Rolle.
Stellvertretend für das Nonnenensemble seien die jungen Sängerinnen Charlotte Reese und Lisa Katarina Zimmermann genannt, die ihren kleinen Rollen schauspielerische Intensität und stimmliche Schönheit gaben.
Der Damenchor erwies sich als stimmschön und präsent Ltg. Maria Benyumova.
Das Orchester zeigte sich wieder einmal als ein Instrument erster Klasse.
Es blühte, setzte starke, aber immer zuchtvolle Akzente , begleitete excellent.
Mikhel Kütson hat hier eine große Aufführung mit vielen hervorragenden Sängern gebracht. Ich habe einen musikalisch solch großen Abend seit langem nicht erlebt. Bravissimo!
Fazit:
Eine musikalisch tolle Aufführung, für Leute die etwas Außergewöhnliches, etwas Unbekanntes, erleben wollen, ein Muß.
Mit der Regiearbeit, dem Bühnenbild, Christian Flören, Kostüme, Susanne Hubrich, Choreografie, Teresa Rotemberg, hier noch die Anmerkung und Frage: hat man für diese Dinge eine Choreografin nötig, haben wir nicht einen Ballettdirektor, der diese Schritte gewiß besser gebracht hätte, konnte ich mich in keiner Weise anfreunden.
Den Besuch der Vorstellung kann ich nur empfehlen. Trotz der erwähnten Unverständlichkeiten keine Langeweile.
Herbert Rommerskirchen