„Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow im Stadttheater
Red. Theater [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Ein wunderbarer, leiser Abend war es, bis auf wenige, berechtigte Ausbrüche der tollen Darsteller. Endlich wurde in unserem Haus auf der Bühne einmal nicht nur geschrien.
Eine Aufführung, die sich jeder, der Tschechovs „Kirschgarten“ liebt, ansehen sollte. Deshalb zitiere ich hier ein Wort eines jungen Mannes, der in der Pause sagte: „Ich habe dieses Stück in Köln gesehen, es war dort schneller und lauter, aber hier ist es viel stiller und dadurch intensiver“.
Er hatte genau meine Empfindungen getroffen.
Ist „Der Kirschgarten“ der um 1900 entstand, zeitgemäß oder nicht?
Die Geschichte einer verarmten Familie, die als einziges Besitztum ein verfallenes, verlottertes Haus und einen riesigen Kirschgarten, der weit und breit berühmt ist, verzeichnet.
Personen, die nur von der Hand in den Mund leben können, so tun, als liebten sie ihre Mitmenschen, aber in Wirklichkeit zu einer Liebe nicht fähig sind, nicht einmal in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren.
Nur die Herrin des Ganzen hat es verstanden, ins Ausland zu gehen, dort zu leben und von ihrem Mann verlassen zu werden. Sie kommt zurück und wird mit der Wirklichkeit, der Armut konfrontiert.
So kommt dann als letztes Wertobjekt der Kirschgarten ins Spiel, den der Sohn eines Leibeigenen, der zu erheblichem Reichtum gekommen ist, abholzen, parzellieren, an Neureiche zum Bauland für Sommerhäuser verkaufen will.
Das passiert ja ähnlich auch heute ständig. Immer mehr Land wird verbaut, immer mehr Böden versiegelt. Da könnte man wie in der Tosca von Puccini sagen „Wie sich die Bilder gleichen“.
Also ein brandaktueller Stoff.
„Ohne den Kirschgarten würde ich mein Leben nicht mehr verstehen“ sagt die Ranevskaja, die Besitzerin des Gutes, die dann nach der unausbleiblichen Versteigerung des Kirschgartens dann doch wieder nach Paris zurück geht.
Hier erlebten wir die wunderbare Eva Spott wieder einmal in ganz großer Form. Welch eine Ausdruckskraft, welche Mimik, welch ein Ausdruck durch die Körpersprache. Eine große Menschendarstellerin. Schon wegen ihr lohnte sich ein Besuch der Vorstellung.
Dieses, obwohl die Darsteller der größeren und kleineren Rollen auch hervorragend sind. Nicht ein einziger Ausfall.
Die Anja der Helen Wendt, in jedem Moment glaubhaft, die Warja der Johanna Geißler, der Stieftochter, wahrscheinlich im Haushalt mißbraucht, in jeder Sekunde in ihrer Rolle.
Daniel Minetti als Bruder der Gutsherrin, fällt, wie so oft lebensuntüchtige Menschen, wieder auf die Füße und wird Bankangestellter.
Eine ganz große Leistung von Paul Steinbach, der den zu Reichtum gekommenen Leibeigenensohn, auch nicht beziehungsfähig, perfekt verkörpert.
Als Trofimov der unglaublich wandlungsfähige Cornelius Gebert als ewiger Student. Welch ein begabter Schauspieler!
Ein Genuß, ihm zuzusehen und zuzuhören.
In den etwas kleineren Rollen: die Charlotte der Esther Keil, der Epichodov von Christopher Wintgens. Die hervorragende Dunjasa der Marianne Kittel sei hier besonders erwähnt, wie auch der als Gockel gezeichnete Ronny Tomiska.
Wie immer hervorragend durch Spiel und Sprachkultur die Urgesteine unseres Hauses, Joachim Henschke und Matthias Oelrich.
Eine Inszenierung, die mir sehr gut gefiel (Matthias Gehrt). Einige Kürzungen bedauerte ich, so z.B. das Auslassen der Szene des Judenorchesters, und, doch eigentlich wichtig, in der Schlußszene, die, von Tschechov so gewollt, sehr ausgedehnt ist, die Klänge der Vernichtung des Kirschgartens. Gewiß Kleinigkeiten, aber wichtig.
Die Bühnenausstattung (Gabriele Trinczek) fand ich sehr gut, das Wasser wäre aber nicht nötig gewesen, in einem so verfallenen Gebäude wäre es sicher sehr schnell nach unten gesickert! Die Kostüme (Elisabeth Strauß) störten nicht.
Facit: Ein großer Theaterabend, in seiner Stille unter die Haut gehend.
Sehr zu empfehlen für Literaturkenner, und absolut auch für junge Leute, die Literatur kennen lernen möchten.
Herbert Rommerskirchen