„Der Besuch der alten Dame“ von Dürrenmatt • Eine spannende Aufführung

Red. Theater [ - Uhr]

Ein Stück das jeden Regisseur zu unterschiedlichsten Deutungen verführen kann und muss. Handelt es sich bei Dürrenmatts Roman / Bühnendrama  um die Rache einer geschwängerten und verlassenen Frau?

Eine, die als Hure eine Reihe von Männern kennenlernt, die reichsten von ihnen heiratet, sie entweder beerbt, oder sich gewinnbringend scheiden lässt, so zur Milliardärin wird und nur im  Gedanken an Rache am Schänder ihrer Tugend lebt?

Kann es sein, dass hier das Augenmerk auf die Bestechlichkeit des Menschen, in diesem Fall die Bestechlichkeit einer ganzen Gemeinde gerichtet wird, die des Mammons wegen, nach langem Zögern, als Erfüllungsgehilfe der Milliardärin Claire zum Mord an einem Mitbürger, der allerdings der Mann ist, der sie geschwängert und sitzengelassen hat, bereit ist und ihn auch durchführt?

Eine Verbindung zu ungebremstem Kauf von Markenklamotten und ähnlichen Dingen (Bangladesch) kann ich nicht herstellen.

Das halte ich für zu weit hergeholt!

Eine Mischung dieser Auslegungen wurde für die Aufführung verwendet. 

Der Inhalt in Kürze 

Claire Zachanassian, als Klara Wäscher geboren, als  junges Mädchen geschwängert, vom Verführer, der obendrein die Verführung beim Vaterschaftsprozess leugnet und Recht bekommt, weil er zwei Zeugen bestochen hat, verläßt das Dorf Güllen.

Sie wird zur Hure, wird durch mehrere Ehen sehr reich und nennt sich als Milliardärin dann Claire Zachanassian.

Der Gedanke nach Rache treibt sie zurück in das Dorf Güllen, in der der Verführer Alfred Ill immer noch als Geschäftsmann lebt. (Sollte diese  Namensgebung Zufall sein? Klara = die Reine, Ill = der Kranke, Güllen = das Stinkende?)

Sie bringt einen Sarg mit, in den sie den Verführer, dessen Tod sie plant, stecken will.

Sie verspricht der Stadt und  ihren Einwohnern eine Milliarde, verlangt im Namen der Gerechtigkeit denTod Ills.

Das Angebot wird zunächst abgelehnt, dann aber im Gemeinderat besprochen und zur Durchführung gebracht.

Zur Aufführung

Wieder einmal bewies das Schauspiel-Ensemble, zu welchen Leistungen es fähig ist, wenn ein geschickter Regisseur die Bühne im Griff hat.

Christoph Roos  verstand es, über zwei Stunden die Spannung zu erhalten und zu steigern. Es wurde keine Sekunde „lang“.

Einige Dinge habe ich allerdings nicht verstanden, so zum Beispiel die Anfangsszene auf und in der Müllkippe. Auch wenn hier mit dem sukzessiven  Ab- und Aufräumen der Bühne die durch Schulden wohlhabendere Gesellschaft dargestellt werden sollte.

Ein zu deutlicher Fingerzeig.

Das Schlussbild irritierte mich etwas.

Bei Dürrenmatt steht doch, dass Ill nach der Verurteilung durch die Gemeinde (hier bei offener Bühne aus dem Publikum sprechend und klatschend), sich durch eine Menschengasse bewegt, wenn diese auseinander tritt, tot auf dem Boden liegt.

Hier ging es wie in einem Schlachthaus zu. 

Bühne: Peter Scior, Kostüme: Gesine Kuhn.

Aber was dann trotz dieser Einschränkungen auf der Bühne passierte,  war fabelhaft.

Eva Spott als Claire Zachanassian zog alle Register einer großen Komödiantin. In jeder Sekunde präsent, war es eine Wonne, ihre Mimik zu beobachten, selbst wenn sie am

Bühnenrand neben ihrem momentanen Ehemann hockt.

Mit welch kleinen Mitteln, z.B. einer Mundbewegung  oder Augenbewegung drückt sie Ihre Gedanken aus.

Das ist ganz große Schauspielkunst.

Kleine lustige Augenblicke serviert Frau Spott brillant.

Einen Moment nach der Heirat mit einem neuen Mann verkündet sie so ganz nebenbei, dass die Scheidung bereits eingeleitet ist.

In der großen Szene mit Alfred Ill  glaubt man ihr eigentlich die hassende Frau nicht mehr, so liebevoll legt sie diese Szene an. Überganglos dann wieder Hass.

Bruno Winzen ist ihr ein hervorragender Partner.

Wie er zuerst versucht, sie mit Jugenderinnerungen zu ködern, dann aber zu seinem Erschrecken ihren Hass spürt, verzweifelt und schließlich gefasst dem Tod entgegensieht, geht unter die Haut.

In der Szene auf dem Bahnsteig wächst er zu beklemmender Grösse. 

Die sogenannten kleinen Rollen, die aber bei Dürrenmatt durchaus große, wichtige Rollen sind, wurden ausnahmslos erstklassig besetzt und gespielt. 

Der junge Jonathan Hutter, trotz seiner Jugend bereits ein brillanter Darsteller, verkörperte gleich

Fünf !  Rollen, jede nach einem sehr kurzen Umzug unterschiedlich dargestellt. Eine große Begabung. 

Bernhard Bauer  a.G. spielte den schwankenden Bürgermeister sehr glaubhaft, vom Freund zum Henker, jeden Moment  seine Rolle aufbauend.

Michael Grosse, gleich in zwei Rollen, gab den salbadernden Pfarrer, den aufdringlichen Pressemann, höchst unterschieden in Gestik und Sprache. 

Matthias Fuhrmeister a.G. bot eine Glanzleistung als Lehrer. Wie er unter der Anspannung des drohenden Unheils leidet, sich betrinkt, die Presse aufklären will, zurückgehalten wird, ist toll. 

Joachim Henschke als Hofbauer und Ronny Tomiska als Helmesberger stellten sich gleichberechtigt in die Reihe der Darsteller. Sprachlich wieder hinreißend. 

Nele Jung in mehreren Rollen, wie auch Helen Wendt in mehreren Rollen boten hervorragende Portraits Ihrer Partien.

Nach einem langen Schweigen am Schluss gab es starken, echten, langanhaltenden Applaus mit vielen Bravorufen. 

Fazit

Trotz der Einschränkungen ein großer Theaterabend mit vorzüglichen Darstellern.

Das Stück hat nichts von seiner Brisanz, seinem Reiz verloren. 

Ein Muß für jeden Theaterbegeisterten, vielleicht für den Neuling  ein interessanter Anfang.

Auch für Lehrer und  Schüler eine absolute Empfehlung. 

Herbert Rommerskirchen

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