Carmen als Ballett mit „Neuer Musik“ im Stadttheater: Eintönig – zu laut – zusehends langweilig
Red. Theater [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Eine neue Version der „Carmen“ wurde mit großen Versprechungen angekündigt, eine neue Musik, absolut auf den Tanz ausgerichtet, dies begründet damit, dass der Komponist Tänzer ist (war?), mehrere Instrumente spielt und auch noch singt.
Also die besten Voraussetzungen, ein Ballett nach dieser Musik zu inszenieren?
Irgendwie klappte das aber nicht so ganz.
Diese hier zum Carmen-Sujet komponierte Musik ist, auf lange Strecken gebracht, ziemlich eintönig, immer die gleichen Intervalle, der gleiche Rhythmus, immer in der (zu) gleichen, lauten Darbietung.
Empfindungen, die doch beim Tanz zur Entwicklung einer Persönlichkeit eine große Rolle spielen, hörte ich nicht.
Mir wurde es zusehends langweilig.
Das vom Ballettmeister Robert North entworfene Szenario tut nichts dazu, der Sache einen Pfiff zu geben, ein Bühnenbild über den ganzen Abend, ein paar Tische, die mal als Kulisse dienen, mal nur herumstehen. Die Mitwirkenden schoben und kippten mit guter Ausdauer.
Von Spanien keine Spur.
Ist mit einigen sehr farbenfrohen Kostümen, Luisa Spinatelli, hier ein Kolorit zu erreichen? Nein!
Das, was Bizet in seiner Vertonung der Novelle von Prosper Mérimée so toll auf die Bühne gebracht hat, kommt hier nicht über die Rampe.
Denkt der Zuschauer immer, und das ist nicht gut, an die Szenen der Carmen, die geheuchelte, wenn vielleicht kurz vorhandene Liebe zu José , die dramatische Szene des Karten-Terzetts, das ungeheure hochdramatische Schlussduett mit José in der Bizet-Oper?
Dies alles muss man bei dieser Ballett-Darstellung schnellstens vergessen.
In der ersten Szene sieht man einen Tisch mit Aufbau, auf den ein Mann steigt, später aber wieder hinunterspringt. Das ist ganz nach Mérimée, er lässt in der Novelle die Geschichte von hinten aufrollen. Am Schluss, nach dem Mord, wird er hier erwürgt. Der Kreis schließt sich.
Warum aber der Aufbau auf dem Tisch?
Das hervorragend vorbereitete Ensemble huscht den ganzen Abend von links nach rechts über die Bühne, tanzt eine kurze Pièce, tritt wieder ab und wieder auf. Auch die Tische kommen in das Spiel.
Immer wieder geht es unter die Tische, mal auf die Tische, mal darüber hinweg.
Diese Kurzauftritte sind ähnlich den schnellen Schnitten in Fernsehkrimis.
In der Szene, in der Carmen mit einer Arbeitskollegin in einen Streit gerät, kommt dann etwas dramatisches Leben auf die Bühne, auch, als sie von José nach ihrer Festnahme von den Fesseln befreit wird.
Hiermit kommen wir zur Carmen.
Elisa Rossignoli ist tänzerisch absolut souverän, aber keine Carmen. Sie kann im Ausdruck weder den Stolz der Zigeunerin, noch die liebende Frau, die von Dämonen Besessene darstellen.
Das liegt zum Teil am etwas neckisch anmutenden Kostüm, zum Anderen aber auch an der Choreographie, die absolut nicht zu ihrem Typ, zu ihrem Körper passt.
Sie wirkt wie das nette Mädchen von nebenan.
Da legt Alessandro Borghesani ganz Anderes vor. Körperlich, vom Aussehen, von der Haltung, ist er der Spanier, der in seiner Liebe ständig getäuscht wird und deshalb in Verzweiflung zum Mörder wird.
Höhepunkt waren in dieser Aufführung die pas de deux mit Elisa Rossignoli.
Das war vorzüglich. Natürlich ist auch er der weichere Typ als die Carmen, dies machte er glaubhaft, obwohl er in den Fechtszenen glänzen konnte.
Fechtszenen und Kampfszenen sind durch North stets das Hinsehen wert. Da kommt, auch im großen Ensemble, alles so präzise wie ein Uhrwerk.
In kleineren Rollen ganz prima Abine Leao Ka als Liebhaber Garzia, auch als Riesenstier.
Takashi Kondo als Picador war wie immer in seiner Rolle untadelig.
Das Ensemble, wie bereits erwähnt, tanzte geschmeidig, sehr präzise seine Auftritte.
Etwas seltsam der Auftritt der Klageweiber, natürlich mit emporgereckten Armen.
Wozu sind denn übrigens eigentlich sechs Trainingsmeister als Gast nötig?
Ein netter Abend.
Das Publikum dankte mit starkem Beifall, der aber sehr schnell wieder durch gellendes Beifallsgebrüll, es war nicht etwa der Stier, ad Absurdum geführt wurde.
Schade!
Herbert Rommerskirchen
1.
Ypsilon schrieb am 10.10.2013 um 18:36 Uhr:
Ach Herr Rommerskirchen, ich liebe Ihre Kritiken!
Sie sind so herrlich ehrlich und geben die Vorstellungen so lebhaft wieder, dass man sich schon fast den Theaterbesuch sparen kann.
Wenn es auf der Bühne auch nicht so gewollt war und die Sache mit Tisch und Stühlen für den Zuschauer eher langweilig zu sein scheint, erinnert mich Ihre Schilderung an den Ausdruck, dass es über „Tische und Bänke“ ging. Dieser Ausdruck lässt auf Temperament schließen, das hier gefehlt zu haben scheint.
Sehr schade, denn gerade Carmen gibt für Tänzer einiges her. Das stellt man sich feurig, dramatisch und leidenschaftlich vor. Allein schon wegen dieser Musik!
Sicher auch für die Tänzer frustrierend, denn die müssen nun mal der vorgegebenen Choreographie folgen. Bei diesem Stück hätten diese sicher die Gelegenheit gehabt ihr Können und ihre Leidenschaft für das Ballett noch viel mehr zur Geltung zu bringen. Schade.
Na ja, es ist schon sowas mit „Vorgesetzten“!
Ich freue mich auf Ihre nächste Kritik!