Ein Tag als Erntehelfer auf einem Venner Bauernhof
Otto Rick [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Venn ist ein Dorf im Westen des Mönchengladbacher Abteibergs. Um den Kirchturm herum liegen die Honschaften Alt-Venn, Hamern, Rönneter, Duis, Poeth, Beltinghoven und Winkeln.
Zwischen den Teilen des Dorfes lagen Acker- und Weideland. Die Generation der „Ureinwohner“, die sich daran noch erinnern kann, stirbt gerade aus. Wo einst Kartoffeln und Getreide gediehen oder Tiere weideten, stehen heute Häuser.
Auf dem Beltinghovener Feld, das zwischen Beltinghoven und dem Dorfkern mit der Venner Kirche und den Stationen des Kreuzwegs, heute Stationsweg, lag, stehen sogar ein paar Hochhäuser.
Und neben der Kirche liegt der Markt. Vor drei Jahrzehnten, als wir nach Venn zogen, war er noch nicht asphaltiert. Heute dient er unter der Woche als Parkplatz. Und freitags ist Wochenmarkt.
Damals schrieb (Hotte) Horst Jungbluth aus Holt sein Lied:
De Maatlüüt
Wenn Stadt on Lank on alle Wält noch schlöpp,
Om noch ke Mensch he duur de Stroote löpp,
Dann send de Maatlüüt längs schonn emsech,
Sen schonn op de Been
On träcke möt d’r Kroom de Stadt erenn.
Te-i’esch wöt flöck d’r Stand jereet jemäck.
Dann komme Körv on Keste on de Säck
Möt Obbs on jröön Jemös on E’äpel
Ananas on Schlaat
Komkommere on Öllek uut d’r Jaat.
On dann stonnt se do on schwaade
Bruuke janet lang ze waade
Dänn de Lüüt, die komme scharewies doher.
Koope Wi’emelter on Muure
On jonnt ü’erverall ens luure.
Schnöve he on do on
Loope krütz on quer … (Lalala …)
Em Su’emer löpp d’r Schweet längs et Jeseet
Em Wenkter hannt de Maatlüüt kalde Vööt.
Doch dat mäck nix, se kicke trotzdämm
Lostech uut de Wäsch
On jriepe no dä Flachmann en dä Täsch.
Öm een Uhr möddes es de Tiet vörbee.
Dann jövv et wi’er en jru’ete Packeree.
Dänn alles, wat net vott jing,
Dat kütt wi’er en de Kess.
De nächste Ki’er do jeht et janz jewess.
Drei Jahrzehnte lang holten wir hier am Morgen unser Obst und Gemüse für die neue Woche. Und freitags gab es Fisch; denn der Fischhändler, zu Kindertagen Nachbar meiner Oma an der Waldhausener Straße, stand ganz vorne rechts auf dem Markt. Am anderen Ende auf der linken Seite stand Bauer Lehnen.
Die Lehnens schlagen ihren Stand heute vorne links auf. „Vater und Sohn“ steht auf den Lieferwagen, mit denen Vater Helmut und Sohn Daniel ihre Ware zu Markte tragen. Seit Ende vergangenen Jahres dürfen sie dies erst ab Mittag. Gladbachs Ampel steht für sie auf Rot.
Am Donnerstag habe ich mich mit den Lehnens verabredet, einen Tag mit ihnen auf dem Hof in Winkeln zu verbringen. Hier meine Eindrücke:
Kurz nach acht stelle ich, pünktlich wie die Maurer, mein Rad zu den anderen vors Haus. Mit viel Platz in der Latzhose aus vergangenen Tagen und Gummistiefeln, die hingegen etwas eng geworden sind, einer Kappe auf dem Kopf, die meine Brille vor Regentropfen schützt, passiere ich den Käfig mit dem großen, schwarzen Wachhund. Der alarmiert gleich seinen vierbeinigen Kollegen.
Daniel kommt aus einer Halle und weist mir den Weg zu den langen Reihen mit Bohnen.
Er und sein Vetter Stefan schneiden heute Spitzkohl auf dem Feld in Richtung der Kartoffeläcker, die sich zwischen der Straße und der Autobahn bis Rasseln erstrecken.
Fast eine große Pause lang – heute ist für viele Kinder der erste Schultag – begebe ich mich auf die Suche nach Helmut, dem Chef. Bis ich ihn schließlich im dichten Grün der Blätter und der Bohnen entdecke.
Anton, der kleine Terrier, von seinem großen Kollegen alarmiert, hatte mich längst bemerkt und bewachte seinen Herrn und die Bohnenernte, wie mir schien.
„Du kannst gern die gelben Stangenbohnen pflücken”, kommt Bauer Lehnen nach kurzer Begrüßung schnell zu Sache. „Hol’ dir vorn eine blaue Kiste, ich pflücke die grünen.”
Also, eine von den Kisten holen, die stapelweise am Feldrand stehen und zurück ins Dickicht des Bohnenurwalds. Noch eben ein Blick auf die Uhr, halb neun, und ich beginne mit meiner Arbeit als Erntehelfer.
Alles, was nach gelben Stangenbohnen aussieht und sich zwischen grünen Blättern zum Drahtseil gen Himmel schlingt, pflücke ich von den Stengeln, die sich wie Kordeln umeinander gewickelt haben. Manchmal weigern sie sich, eine Bohne freizugeben. Strang für Strang füllt sich der Korb.
Wenn ich in die Hocke gehe, wird es ganz still um mich herum. Richte ich mich wieder auf, höre ich im Rücken das Rauschen der Lastwagen. Vor meinem geistigen Auge erscheinen Konservendosen und Gläser mit Bohnen und Gemüse aus Asien und Afrika. Gepflückt von Menschen in Ländern, aus denen das Fernsehen am Abend von Hungersnöten und Katastrophen berichtet.
Goch soll an diesem Tag das Zentrum eines schwereren Erdbebens gewesen sein. Doch davon erfahre ich erst am nächsten Morgen.
Die erste Kiste ist fast bis zum Rand voll. Ich trage sie ans Tageslicht und werfe einen Blick auf die Armbanduhr. Eine Stunde für ein paar Pfund gelber Stangenbohnen.
Mit der leeren Kiste orte ich erst einmal den Bauern: „Helmut.” Schweigen. „Helmut?” Es dauert eine Weile. Von Helmut ist nichts zu sehen. Nur eine volle Kiste, doppelt so groß wie die meine. Und Anton, der Hund.
Da ich das Ende der Reihe mit den gelben Bohnen erreicht habe, will ich wissen, was ich als nächstes machen soll. „Eine zweite Kiste”, bekomme ich als Antwort. Eine Reihe weiter geht’s weiter. Hier hat der Wind das Laub weggefegt. Es vergilbt am Boden, die Bohnen hängen praktisch „nackisch“ zwischen dem Spanndraht in geschätzt zwei Metern Höhe über dem Erdboden.
Trotzdem dauert es eine weitere Stunde, bis auch die zweite Kiste gefüllt ist. Zwischendurch erscheint Angelika mit dem Fotoapparat, denn Bilder sagen oft mehr als Worte.
Wir gehen zu den Jungs und machen Bilder von der Sellerieernte. Anschließend helfe ich Helmut noch etwas bei den grünen Bohnen, erzähle ihm von den Böhnchen, die auf ihrem Weg von Kenia in die Regale der Supermärkte sind.
„Das sind aber Strauchbohnen”, klärt er mich auf, und ich erinnere mich an die Arbeit daheim in der Küche. „Fitschbonne”, „dicke Bohnen“, Salatböhnchen, Suppenbohnen und Bohnen fürs Gemüse. Helmut knurrt der Magen. Er greift zum Handy, will wissen, ob das Mittagessen fertig ist. „In einer Viertelstunde”, lautet die Antwort seiner Frau.
Mittagspause, Hühnersuppe mit Gemüseeinlage, dazu Reis und Fleisch. „Fleisch muss sein“, sagt Helmut und sorgt, dass alle am Tisch reichlich auf ihrem Teller haben: Oma, die Jungs und ich. Mutter, seine Frau, sitzt außer Reichweite und bedient sich selbst. Sie steht auf Reis als Beilage. Der Bauer bevorzugt Kartoffeln.
Jeden Tag eine andere Sorte; denn auf ihren Äckern wachsen solche mit roten und gewöhnlichen Schalen und mit diversen Namen, die ich als Kunde vom Wochenmarkt kenne.
Den Nachmittag verbringen wir wegen des Sch…wetters in einer der großen Hallen. Am Fließband lerne ich, Kartoffeln von Hand zu verlesen. Steine und Erdklumpen erkenne ich auch als Laie, faule Kartoffeln erst auf den zweiten Blick.
Bei „verrosteten Knollen“ hat eine Dürreperiode ihre Spuren in der Schale hinterlassen. Helmuts geschärfter Blick erkennt sofort die Spuren von Würmern. Die knabbern kleine, fast unsichtbare Löchlein in die Schale und sind offenbar an bestimmten Stellen im Erdreich überdurchschnittlich häufig vertreten.
Oder haben sie vielleicht auch ihre Lieblingsknollen? Krüppel, verwachsene Knollen, die an ein Herz oder die Finger einer Hand denken lassen, überdurchschnittlich große wie kleine Kartoffeln gehören ebenso aussortiert wie solche mit grünen, also ungenießbaren Stellen.
Kistenweise landen Früchte in Kisten, landen auf dem Müll oder im Trog von Nachbars Kühen. Besonders große Erdäpfel finden in Restaurants und Großküchen Abnehmer. „In Holland und Belgien machen sie daraus Pommes frites”, lehrt der Meister.
Die Marktkunden sind verwöhnt, verlangen nur ausgewählte, handverlesen Qualität. Und das möglichst auch noch zu einem Preis, den Discounter ständig unterbieten.
Helmut erzählt von einem befreundeten Kollegen, der sich mit 50 auf die niederländischen Antillen zurückgezogen hat. Von seiner Frau, die hier geblieben ist, bezieht er immer noch Äpfel und Obst.
Nach gut drei Stunden ist die Ernte der Woche verlesen, in Säcke und Tüten abgepackt. Zwischendurch ruft ein Kollege an, von dem Helmut seine Champignons und andere Speisepilze bezieht. Kurz darauf erklärt er dem „Kleinen“ – Stefan, der bald 20 wird, – dass er alles ordentlich aufräumen und saubermachen soll. Und mir fällt die Aufgabe zu, darauf zu achten, dass er alles ordentlich macht.
Natürlich habe auch ich gelernt, wie man mit einem Besen umgeht: Mein Vater war Schreiner. Wie Helmut, der bei einem Schreiner in die Lehre ging, bevor er zum Bund einrückte.
Dann verunglückte sein Vater schwer, und Helmut wurde Bauer wie alle in seiner Familie seit sicher 150 Jahren. Damals war er 20, mittlerweile ist er seit 29 Jahren Bauer und trägt seine Ernte auf den Markt.
Seit Kurzem tun dies Helmut und seine Frau Monika zusammen mit Sohn Stefan, der die Familientradition fortsetzen will.
Nur die Herren (und Damen) im Rathaus bereiten ihm Sorgen. Sie machen ihm das Leben schwer. Dabei arbeitet er gerne auf dem Hof, steht gerne auf dem Markt.
„Venn ist unsere Existenz”, sagt Helmut Lehnen. „Auf den Märkten in Rheydt und auf dem Kapuzinerplatz ist nicht mehr viel los. Und da beschränken die Politiker auch noch unsere Marktzeiten.”
Die Jungs und ich machen klar Schiff. Die Arbeit des Tages verschwindet auf Paletten per Gabelstapler lautlos in Lager und Kühlhaus. Helmut kommt zurück vom Kollegen in Dülken, wo er sich mit Gurken und Tomaten eingedeckt hat.
Mittlerweile ist es 17.30 Uhr. Ich verabschiede mich von den Lehnens und dem Hängebauchschwein, das Gummistiefel nicht leiden mag und bei „u‘esselijem“ Wetter lieber im Haus bleibt.
(Alle Fotos: nld)
2.
prisac schrieb am 12.09.2011 um 20:19 Uhr:
hallo
herr rick,
sohn nuMMer eins sagt,
der sohn von bauer helmut
heißt daniel
und der stefan ist sein kuMpel.
fun and sun
pri and sac
1.
Hannelore Huber schrieb am 12.09.2011 um 18:47 Uhr:
Vielen Dank an Herrn Rick für den interessanten Artikel!
Mönchengladbach hat doch manches zu bieten, wie man hier liest.
Da bekommt man direkt Appetit auf leckere Bohnen, besonders die gelben (Wachsbohnen), die Herr Rick in mühevoller Kleinarbeit gepflückt hat.