Ein Schrank im Museum Abteiberg
Andreas Rüdig [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Das Museum Abteiberg ist bekanntlich das städtische Kunstmuseum der Stadt Mönchengladbach. Die Ausstellung „Der Schrank von Ramon Haze im Museum Abteiberg“ ist dort noch bis zum 28. April 2019 zu den gewohnten Öffnungszeiten zu sehen.
„DER SCHRANK VON RAMON HAZE ist die Hinterlassenschaft eines Kunstdetektivs, Sammlers und Künstlers, der die Kunst des 20. Jahrhunderts wiederentdeckte und Bemerkenswertes fand.
Neun unbekannte Urinale von Marcel Duchamp, gefunden in Dresden, wo Duchamp sie 1912 hinterließ und nie mehr zurückholen konnte.
Dies könnte erklären, warum Duchamp in den 1960er Jahren eine Multiple-Edition herausgab. Zwei auffällig ähnliche Kinderlaufställe, einer bekannt als das Werk des Russen Ilja Kabakov, der andere von einem völlig unbekannten kolumbianischen Künstler.
Der Kolumbianer war entweder Kabakovs Vorbild oder dachte rein zufällig so ähnlich wie Kabakov; dass Kabakov ihn inspirierte, schließen die Indizien aus. Weit mehr als 160 Stücke zählt das Gesamtkonvolut der Sammlung von Ramon Haze, einige von ihnen mangels Quellen noch immer unerschlossen, 158 Objekte publiziert in einem kommentierten Werkverzeichnis.
Die Sammlung selbst ist eine Wiederentdeckung. 1996 wurde sie, von zwei jungen Künstlern, Holmer Feldmann und Andreas Grahl veröffentlicht, die sie zunächst im Keller einer brachen Industriehalle in Leipzig ausstellten. Aus dieser Zeit ist ein Film erhalten, der die damaligen Führungen durch Leipziger Schauspielstudenten zeigt.
Drei Jahre später wurde die Sammlung erneut im neueröffneten Leipziger Hauptgebäude der Dresdener Bank gezeigt und erhielt dort besagtes Werkverzeichnis.
Die Sammlung ist eine posthistorische Fiktion, entstanden in der Zeit nach 1992, als die Leipziger Schule und der Kunstmarkt schlechthin den Sieg der zugleich avantgardistischen und opportunistischen, mit den Zeitläuften des 20. Jahrhunderts paktierenden bildenden Kunst feierten.
Von den Fiktionen, die Künstlerinnen und Künstler in den vergangenen Jahren in die Welt brachten, ist die von Ramon Haze und seinem (künftigen) Schrank der Kunst des 20. Jahrhunderts die wohl irritierendste und berührendste, vielleicht auch sinnhafteste.
Da ist Jeff Koons Arbeit der Basketbälle im ausgetrockneten Aquarium, weil kein Museum mehr in der Lage war, sich zu kümmern. Da sind abstrakte Formen und Farben mit gegensätzlichen inhaltlich-ideologischen Funktionen. Die ist das Modell der Unendlichen Säulen von Constantin Brancusi, das keiner kannte. Da sind Ideen, Visionen, Spinnereien von Kunst = Leben, wie die im Urmodell vom VW-Käfer, Archetype, 1934, den Ferdinand Porsche als eine Muschel für die moderne Familie erdachte. Da sind gesellschaftsbezogene und radikal kritische Kunstkonzepte, gemäßigt bildhafte wie die große Skulpturengruppe Verführer und Verführte (Kurt Helm, 1996) und explizit terroristische wie das Ensemble Salpeter, das gemäß Ramon Haze von Andreas Baader, 1970-1972, stammt.
Mit der ‚Totalen Installation‘ der Hinterlassenschaft von Ramon Haze im Museum Abteiberg gelangt die Sammlung des Ramon Haze 22 Jahre später an den Ort ihrer eigentlichen Bestimmung, in ein Museum.
Sie transportiert eine im Jahr 1996 aufgestellte und zwischenzeitlich fast vergessene Frage in die Gegenwart: Was war die moderne Kunst? Und zwar mit Relikten und Gegenständen, die aus der gesamten Dingwelt des 20. Jahrhunderts übrig blieben.
Die Übergange zwischen der Sammlung des Museums Abteiberg und der Sammlung des Ramon Haze werden irritierend und fließend. Die Frage nach dem Grund der Objekte wird zu einer Leitfrage in dieser wissenschaftlichen Fiktion.
Die Ausstellung wird die Räume im Museum völlig verändern. Das Publikum trifft auf das Wohnzimmer von Ramon Haze, den Schrank, der Initiation und Eingang in die Sammlung gibt. Daran anschließend eine Szenerie von Schwerlastregalen, Stellagen, Auslagen und Aufhängungen verschiedenartigster Objekte in den offenen Räumen der Straßenebene. Litfasssäulen mit Texten erzeugen eine übergroße Raumbeschriftung – in Anspielung auf das sonst als elitär und undidaktisch wahrgenommene Fehlen von Raumtexten im Museum Abteiberg.
Der Plot der Werkbeschreibungen und Interpretationen wird auf mehrerlei Weise verstärkt, durch den glücklich erhaltenen Film der Schauspielerführungen in Leipzig 1996 und eine neue Reihe experimenteller Führungen, die in der Ausstellung ausprobiert werden,“ stellt das Museum die Ausstellung auf seiner eigenen Webseite im Internet selbst vor.
Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Sie ist auf der Ebene, auf der sich auch Eingang und Kasse befinden, zu sehen. Große Kartons sind das erste, was der Besucher zu sehen bekommt. Befindet man sich in einer Ausstellung, die gerade noch aufgebaut wird?
Mit einem gewissen Schrecken habe ich mir diese Frage gestellt, als ich mir die Eintrittskarte gekauft habe. Und das eine Woche nach Ausstellungseröffnung! Ich konnte dann aber schnell feststellen, daß sie wunderbar kuratiert ist, auch wenn ich leider noch nicht festgestellt habe, wer genau dafür verantwortlich ist.
Die Ausstellung hat den Museumsbereich, in dem sie zu sehen ist, auf jeden Fall – im Vergleich zu früher – verändert. Man entdeckt Personen, von denen man nicht erwartet hat, daß sie Künstler waren – siehe Ferdinand Porsche und Andreas Baader. Man entdeckt Kunst, die man sonst nicht zu sehen bekommt: Urinale von Duchamp beispielsweise, oder ein kleines Wohnzimmer auf einer Art Bühne!
Welches andere Museum hat schon die Möglichkeit, solche „Kunstwerke“ auszustellen? Der Abteiberg ist wie geschaffen dafür – eine gewisse Begeisterung für diese Sonderausstellung sei an dieser Stelle durchaus erlaubt.