VdK-Inklusionspreis 2015 • Teil II: Preisverleihung an bemerkenswerte Persönlichkeiten • „Inklusion ist eine stete, immerwährende Arbeit“ • „Nichthören trennt Menschen“
Red. Gesundheit & Soziales [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Am 23.01.2016 verlieh der Kreisverband Mönchengladbach im Sozialverband VdK NRW zum dritten Mal seinen Inklusionspreis. Nachdem die Preisträger der Vorjahren aus den Themenbereichen Bildung und Arbeit kamen, wurden in diesem Jahr Ehrenamtler geehrt, die sich in herausragender Weise um die Belange von gehörlosen Menschen und Menschen mit Hörbeeinträchtigungen verdient gemacht haben.
Im Bild v.l.: Inklusionsbeauftragte Ingrid Icking, Renate Peters (Gehörlosenverein), Werner Knor (stellv. VdK-Kreisvorsitzender), Claudia Möller und Norbert-E. Möller-Heinrich (Verein der Hörgeschädigten), Bernhard Wilms (VdK-Kreisvorsitzender)
„Zufällig gibt es morgen eine Folge des Tatorts, der sich um das Thema Gehörlosigkeit dreht. Dort lernt ein Kommissar die Gebärdensprache, um seine Arbeit tun zu können“. Aktueller hätte Moderator Karl Boland, Geschäftsführer beim Paritätischen und Viersen und Neuss, die Preisverleihung nicht ankündigen können.
Menschen, die durch Gehörlosigkeit oder Hörschäden behindert sind, sei es von Geburt an oder durch andere Umstände, müssten ihre Beeinträchtigungen mitteilen, weil andere diese nicht sehen könnten, beschreibt Boland ein Kernproblem dieser besonderen Behinderung. Sie würden auffallen oder sich in die Isolation zurückziehen und gar nichts mehr tun.
Ohne Unterstützung in unterschiedlichster Ausprägung hätten diese Menschen kaum eine Chance, beispielsweise in Verwaltungen, bei Krankenkassen und in anderen Bereichen des täglichen Lebens, ihre Rechte wahrzunehmen bzw. teilzuhaben.
Dies war auch ein Schwerpunkt der Laudatio, die die Mönchengladbacher Inklusionsbeauftragte Ingrid Icking, auf Renate Peters hielt, die sich seit Jahrzehnten mit hohem Engagement um die Belange von gehörlosen Menschen kümmert.
Ingrid Icking kennt Renate Peters seit etwa 16 Jahren und bezeichnet sie anerkennend als „Institution“ in der Gehörlosenhilfe.
„Frau Peters ist ein Beispiel für gelebte Inklusion, als es das Wort noch gar nicht gab,“ beginnt Icking ihre Laudatio.
Peters war das hörende Kind gehörloser Eltern und ist, wie sie selbst sagt „zweisprachig“ aufgewachsen.
Kern der Kommunikation von Gehörlosen ist die Gebärdensprache, eine anerkannte Sprache, für deren Übersetzung es umfangreiche Schulungen gibt.
Renate Peters hat diese Ausbildungen zum Gebärdendolmetschen vor vielen Jahren absolviert und diese Fähigkeiten nicht nur in ihrer eigenen Familie eingesetzt.
Peters habe gelernt und gelebt, diese besondere Behinderung zu überwinden und nicht als Separation zu betrachten und dies auch vor dem Hintergrund, dass gehörlose Menschen oft einen deutlich geringeren Sprachschatz hätten.
Darunter leide dann auch die Durchsetzungsfähigkeit und führe zu falschen Einschätzungen bei Hörenden, die nicht selten „Taubheit“ (als anderer Begriff für „Gehörlosigkeit“) mit „unterentwickelt“ gleichsetzen würden.
Gegen diese Art von Vorurteil anzukämpfen habe Peters immer wieder mit viel Herzlichkeit Unterstützung geleistet, indem sie immer für Gehörlose erreichbar war und ihnen beispielsweise bei Behördengängen auch zu ihrem Recht verhalf.
So auch im Gehörlosenverein Mönchengladbach, deren Vorsitzende sie ist.
Auch die städtische Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen habe Frau Peters hinzuziehen können, wenn Gehörlose dem zugestimmt hätten.
Vielfach kenne sie die Vita der gehörlosen Menschen, was für ihre beratende Unterstützung von großer Bedeutung ist. Diese gelte – da wo es nötig und leistbar sei – teilweise auch für das private Umfeld, bis hin zu den komplexen Kommunikationssituationen bei der Erziehung von Kindern gehörloser Eltern.
Ingrid Icking betonte, dass Peters auf bemerkenswerte Weise den „Spagat“ geschafft habe zwischen der notwendigen Unterstützung und einer „Überfürsorglichkeit“, was die Eigenständigkeit der betroffenen Menschen einschränken könnte.
Nach Entgegennahme des Inklusionspreises 2015 erläuterte Renate Peters ihr gelebtes Verständnis von „Inklusion“.
Es sei nicht nur das Zusammenleben von behinderten Menschen mit „normalen“.
Vielmehr bedeute Inklusion „stete und immerwährende Arbeit“, indem sie den Personen, die zu ihrem Betreuerkreis gehören und ihrer Hilfe bedürfen, das Leben so erleichtern, dass sie in der Welt der „Hörenden“ gut leben, gut verstanden und anerkannt werden.
Barrierefreiheit werde für gehörlose erst mit Hilfe eines Dolmetschers erreicht, der immer zur richtigen Zeit seine Ohren zur Verfügung stellen könne, um zu übersetzen.
Peters bezeichnete sich als „Einzelkämpferin“, die sie auch heute noch sei. Ihre Situation beschrieb sie so:
„Zuerst kamen die Gehörlosen, dann meine große Familie und dann mein Arbeitgeber.“
Ihre Chefs seien stets großzügig gewesen, wenn sie während der Arbeitszeit „mal eben“ zum Standesamt, zum Arzt, zum Gericht oder in eine andere Firma musste. Sie habe immer gehen können, die verlorene Arbeitszeit habe sie jedoch nachholen müssen.
Einen Inklusionspreis hätten auch die Firmen und Arbeitgeber verdient, die „den Mut hatten“, Gehörlose in den Kreis der „hörenden“ Arbeitnehmer aufzunehmen, um dann festzustellen, dass auch diese Menschen vollwertige Arbeitskräfte sind … die „nur“ nicht hören können.
Die Laudatio auf die beiden weiteren Preisträger, das Geschwisterpaar Claudia und Norbert Möller, hielt Dr. Thomas Wacker, HNO-Arzt in Mönchengladbach und stellv. Vorsitzender des Vereins der Hörgeschädigten in Mönchengladbach, der sich zum Ende 2015 aufgelöst hatte.
Zu Beginn seiner launig vorgetragenen Laudatio zitierte Dr. Wacker den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der gesagt hatte: „Wir brauchen keine Helden, wir brauchen Vorbilder in unserer Gesellschaft“.
Als solche beschrieb Wacker das Geschwisterpaar, das er seit 1993 kennt.
Er beschrieb auch, das erste Treffen mit beiden und dass er sehr schnell zum 2. Vorsitzenden gewählt wurde und wie es zur Gründung des Vereins vor 35 Jahren durch die Eltern der beiden Möllers kam.
Relativ kurz nach Gründung hatte der Verein der Hörgeschädigten über 150 Mitglieder. Jeden zweiten Samstag im Monat gab es ein Treffen mit den unterschiedlichsten Themenstellungen, teilweise mit Fachvorträgen von Ärzten, Hörgerätespezialisten, Rechtsanwälten u.ä.
Nach dem Tod des Vaters übernahm Norbert Möller die Leitung des Vereins.
Regelmäßige Verstärkung hatte Norbert Möller – im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten – von seiner Schwester Claudia.
Claudia Möller sei zudem eine ideale Ergänzung dadurch gewesen, weil sie als Behindertenbeauftragte einer großen Versicherung die Themen einbrachte, die Menschen angehen, die im Berufsleben stehen.
„Es war eine tolle Zeit“, beschrieb Wacker die Zusammenarbeit und verwies auf einen Höhepunkt, an dem beide Preisträger maßgeblich beteiligt waren: „Tag des besseren Hörens“ im Paritätischen an der Friedhofstraße.
Fast 1.500 Gäste waren damals gekommen und konnten sich – neben einer umfangreichen Ausstellung – bei Fachvorträgen u.a. von Professoren und Klinikchefs von Rehabilitationszentren informieren.
Der Name „Möller“ habe über Jahre in Bezug zu „Hörbehinderung“ immer den gleichen Klang gehabt.
„Es gab so unendlich viele Dinge, an die ich mich dankbar erinnere,“ erklärte Wacker und beschrieb eindrucksvoll und etwas wehmütig die letzte Veranstaltung im Dezember 2015, die das Ende des Vereins bedeutet hatte.
Auf beide, Claudia und Norbert Möller, träfe bis heute der Wahlspruch zu: „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das weitertragen der Flamme“.
Wacker schloss mit der Feststellung: „Es wurden die beiden richtigen für diesen Preis ausgewählt.“
Nach der Preisverleihung beschrieb Claudia Möller die Besonderheit der Gehörlosen und Menschen mit Hörschäden so: „Nicht sehen trennt von Gegenständen – Nicht hören trennt von Menschen“.
Es gehe also immer um Kommunikation, die nur möglich sei, wenn man das Gegenüber versteht. Nur dann sei antworten und damit eine Unterhaltung möglich.
Während Gehörlose sich in der Regel mit der Gebärdensprache verständigen, seien Schwerhörige auf das gesprochene Wort, die visuelle Wahrnehmung und Gestik und Mimik angewiesen.
Dies hätten ihr Bruder und sie von Kindheit an trainieren dürfen. Dazu gehöre auch, bei Nicht-Verstehen nachzuhaken und um Wiederholung zu bitten.
In ihrer Tätigkeit als Vorsitzende der Konzern-Schwerbehindertenvertretung „kämpfe“ sie nicht gegen etwas, sondern für Verständnis für Menschen mit Behinderungen und setze sich in diesem Kontext auch für die Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderungen in Unternehmen, insbesondere in ihrem Versicherungskonzern ein.
Bewerbern empfahl Claudia Möller, selbstbewusst zu Behinderungen zu stehen und sie nicht zu verschweigen.
Problematisch sei das Verhalten von Krankenkassen, die bei Hilfsmitteln (Hörgeräte usw.) nur eine Pauschale gewähren wollen; den Rest der Kosten müssten die Betroffenen selbst aufbringen.
Es könne nicht sein, dass der Geldbeutel darüber entscheide, wie gut der Schwerhörige hören könne.
Claudia Möller schloss – auch im Namen ihres Bruders Norbert – ihren kurzen Appell mit dem Satz: „Integration bedeutet Duldung – Inklusion ist die Zugehörigkeit“.
Fotos: Werner Erkens