Von der Ton-Scherbe zu „Bits & Bytes“ – oder: Demokratie in Gefahr?
Torben Schultz [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Oft genug werden wir Bürger bei wichtigen Entscheidungen gar nicht gefragt, aber wenigstens hin und wieder dürfen wir an der Wahlurne Mitentscheiden. So auch in einem knappen Jahr bei der Kommunalwahl NRW. Und damit unsere Stimme auch zählt und die Wahl nicht manipuliert wird wurden gewisse Regeln aufgestellt. Wurde früher beim Scherbengericht noch umständlich der Name eines unliebsamen Politikers auf eine Tonscherbe geritzt, wurde es mit der Zeit einfacher. Heute reicht ein Kreuz auf einem vorgedruckten Papier.
Doch Material hin oder her, letztlich ist der Ablauf gleich geblieben: Eine freie, gleiche und geheime Wahl!
Doch ist bei der Stimmenabgabe noch „geheim“ ein wichtiger Faktor, ist der Restliche Ablauf vom Aufstellen der Wahlurnen bis hin zur Ergebnisfeststellung öffentlich. Und das ist auch gut so! Morgens kann in die Urne geschaut werden, ob nicht vielleicht schon jemand ein paar Stimmzettel „deponiert“ hat.
Abends beim Ausschütten kann geschaut werden, ob nicht noch schnell ein paar Stimmzettel dazu kommen oder gar einfach ein paar liegen bleiben. Nur eine Wahl, wo jede/r Einzelne/r geheim und ohne Zwang abstimmen kann, aber der Ablauf für jede/n leicht Kontrollierbar ist kann sich demokratisch nennen.
Nun werden in Deutschland vermehrt so genannte Wahlcomputer eingesetzt, also von der Scherbe, über das Papier hin zu Bits & Bytes. Grund genug sich die Frage zu stellen:
Kann eine elektronische Wahl dem demokratischen Anspruch genügen?
Nun buhlen mehrere verschiedene Hersteller mit verschiedenen Systemen um diesen neuen Markt der Wahlcomputer. Doch eins ist allen Systemen gemeinsam: Es sind Computer auf denen eine Software läuft die ein paar wenige Programmiert haben, danach durchlaufen sie ein staatliches Prüfungsverfahren durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt um überhaupt zum Einsatz zugelassen werden zu können. Diese Prüfung findet pro Gerätetyp einmalig statt, also nicht für jedes einzelne eingesetzte Gerät.
Ob nun böswillig Eingebaute „Hintertüren“, strukturelle Fehler oder mögliche Verschleißerscheinungen, sie können auffallen, sie müssen aber nicht.
Bei einer Kaffeemaschine erwartet der Anwender ein festes Ergebnis, nämlich ein heißes, dunkel braun bis schwarzes, kreislaufanregendes Getränk. Ist der Kaffee kalt oder durchsichtig ist ein Fehler aufgetreten.
Aber bei einer Wahlmaschine ist das Ergebnis unklar. Sollte eine zur Wahl stehende Option (Person, Partei, Antrag, …) 99% aller Stimmen bekommen, kann das ein richtiges Ergebnis sein. Es kann sich aber genauso gut um eine Manipulation oder Fehler handeln. Erst wenn sich mehr als 1% der Wähler/innen finden, die den Grundsatz der geheimen Wahl vernachlässigen und sich öffentlich bekennen anders gewählt zu haben fällt der Fehler auf.
Solche technischen Mängel weist die Wahl mit Urne und Papier nicht auf, hier kann allenfalls bewusst manipuliert werden, was aber aufgrund mehrerer Anwesender Personen schwierig ist.
- Bekannt dürfte der Wahlbetrug von Hitler sein, der durch die Reichstagsbrandverordnung ermächtigt alle Mitglieder der KPD und einige der SPD verhaften, ermorden oder einschüchtern ließ. Diese Form des Betrugs gehört hier nur der Vollständigkeit halber genannt.
- Die Wahlen in der DDR standen permanent unter dem Verdacht der Manipulation, nachgewiesen werden konnte sie im Fall der Kommunalwahl im Mai 1989. Als Egon Krenz das offizielle Wahlergebnis mit 98,85 % Ja-Stimmen für die Einheitsliste bekannt gab, war aufgrund unabhängiger Wahlbeobachtung klar, dass dieses Ergebnis auf Fälschungen beruhen musste.
Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Wende_(DDR)#Die_Kommunalwahl_am_7._Mai_1989 - Der Wahlfälschungsskandal von Dachau im Jahre 2002 ist der größte bekannt gewordene Fall an Wahlfälschung in der Bundesrepublik Deutschland. Bei den Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen wurden Stimmzettel in großer Anzahl zugunsten einiger Kandidaten der CSU manipuliert. Der Nachweis erfolgte unter anderem durch Kopien von Stimmzetteln die im Schriftbild übereinstimmten. Einer der Wahlfälscher gab zu, seit zwanzig Jahren die Wahlen zu fälschen. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wahlf%C3%A4lschungsskandal_von_Dachau
Weitere bekannte Wahlfälschungen unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Wahlbetrug
Eine Manipulation in der „Black-Box“ Wahlcomputer wird kaum ein normaler Mensch erkennen.
Einer der größten Hersteller von Wahlcomputern ist Nedap ( N.V.Nederlandsche Apparatenfabriek) aus den Niederlanden. Nedap stellt die Geräte ESD1 und ESD2 her, die bisher einzigen Wahlcomputer die in Deutschland für Bundestags- und Europawahlen zugelassenen sind. Bei den Gemeinderats Wahlen im April 2006 in Landerd-Zeeland (Niederlande) kam der Verdacht auf, dass ein Kandidat selbst als Wahlhelfer tätig war und den eingesetzten Wahlcomputer ES3B von Nedap manipulierte.
Das Verfahren ist aufgrund fehlender Stimmzettel oder Ausdrucke alleinig auf Zeugenaussagen angewiesen und noch nicht endgültig aufgeklärt. Mehr dazu z.B.: http://www.hsg-wahlsysteme.de/Wahlnachrichten/2006_Menschenwerk%20und%20kein%20Maschinenwerk.pdf
Eine niederländische Bürgerinitiative demonstrierte 2007 zusammen mit dem CCC Berlin vor laufenden Kameras wie sich bei den Geräten ESD1 und ESD2 eine Wahl manipulieren ließe. Daraufhin wurden die Geräte in den Niederlanden aus dem Verkehr gezogen. Mehr dazu: http://www.ccc.de/press/releases/2007/20070609/nedapReport54.pdf
In einer Studie von Computer-Wissenschaftlern der University of California die ende Juli 2007 veröffentlicht wurde konnte keine der getesteten Wahlmaschinen die Sicherheitstest erfüllen. Getestet wurde sowohl die Hardware als auch die Software, die entdeckten Lücken gingen z.T. so weit, dass ein einzelnes Manipuliertes System das gesamte Netz der Wahlcomputer infizieren konnte und so eine Manipulation der Wahl ermöglichte. Mehr dazu: http://www.heise.de/newsticker/meldung/93563
Um den „Black-Box“ Effekt zu minimieren, gibt es Systeme die Papier und Technik verbinden. Bei der Lochkarte wird statt eines Kreuzes ein Feld durchstochen, dieses System erlangte bei den Präsidentschaftswahl 2000 in den USA zweifelhafte Berühmtheit und endete mit mehrfachen Nachzählungen.
Die korrekte Stimmenauszählung in Florida dauerte nach der Wahl mehr als einen Monat. Der Supreme Court verbot letztinstanzlich eine erneute Nachzählung, somit war der Wahlsieg des republikanischen Kandidaten offiziell. George W. Bush hatte die Präsidentschaftswahl mit einer umstrittenen Differenz von 537 Stimmen in Florida gewonnen. Neuere Untersuchungen von US-Medien zeigen, dass bei einer kompletten Neuauszählung der Stimmen in Florida Gore der Gewinner der Wahl und damit US-Präsident geworden wäre. 2007 wurde in Florida zum klassischen Wahlzettel auf Papier zurückgekehrt.
Quelle und weitere Informationen: http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_den_Vereinigten_Staaten_2000
Bei der Bürgerschaftswahl 2008 in Hamburg sollte der digitale Wahlstift zum Einsatz kommen und wurde bereits angeschafft. Später kamen in der Bürgerschaft große Bedenken bezüglich der Sicherheit auf und es wurde auf den Einsatz verzichtet. Der digitale Wahlstift hat bisher keine Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und kann diese auch frühstens nach einer Anpassung der Bundeswahlgeräteverordnung erhalten.
Die Angriffsszenarien, die zum Teil vom Chaos Computer Club (CCC) demonstriert wurden waren: Unsichtbare Manipulation der Stimmzettel oder des Stiftes, die das Ergebnis der ganzen Wahl verändert. Denkbar war sogar, dass der Stift unbemerkt durch einen der ersten Wähler ausgetauscht wird.
Quellen zum digitale Wahlstift: http://de.wikipedia.org/wiki/Digitaler_Wahlstift und http://www.ccc.de/updates/2007/wahlstift-hack
Diese Gefahrenquellen bleiben uns in Mönchengladbach noch erspart, nach Aussagen des Wahlausschuss des Rates der Stadt gab es bisher keinen solchen Einsatz und er ist auch derzeit nicht geplant. Das dürfte zum einen den Kämmerer freuen, denn die einmaligen kosten für die Systeme sind immens und wurden bisher in keinem Land oder Kommune durch weniger Wahlhelfer kompensiert.
Aber es sollte uns auch als Wähler/innen freuen, denn so können wir sicher sein: Unsere Stimme zählt!
Doch in anderen Bundesländern wie z.B. Hessen sind in etlichen Wahlkreisen solche Wahlcomputer im Einsatz, deswegen dürfen wir so ein Thema nicht aus den Augen verlieren. Unsere Demokratie sollte es uns Wert sein, das wir auf das Ergebnis warten bis es von Hand ausgezählt ist. Und seien wir mal ehrlich:
Was gibt es schöneres als von der ersten Prognose, über die Hochrechnungen bis hin zum Endergebnis mit der Familie und Freunden zitternd auf dem Sofa zu sitzen?
Wer will schon, dass auf Knopfdruck um fünf nach sechs die Spannung und die Demokratie dahin sind?
Anmerkungen zu den Wikipedia Quellen:
Die Wikipedia unterliegt einer ständigen Veränderung, die Quellenangabe bezieht sich auf das Datum 15.07.2008. Da jeder Mensch an der Wikipedia mitarbeiten kann, werden solche Quellen oft skeptisch betrachtet. Die von mir verwendeten Aussagen der Wikipedia sind im jeweiligen Artikel durch andere Quellen belegt, deswegen halte ich sie für Verwendbar. Sie sollen dem geneigten Leser einen leichten Einstieg ins Thema ermöglichen.