Die Gedanken sind frei! – nur ihr Held ist es nicht
Jasmin Merscher [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Es ist eine bunte Truppe, die da am Samstag in Frankfurt demonstriert. Ein bisschen Occupy, ein bisschen Piratenpartei und dann noch die Free Bradley Manning Initiative. Es geht um die Freilassung ihres amerikanischen Helden.
Doch das scheint nicht ihr einziges Anliegen zu sein.
Der Wind pfeift. Es regnet und es ist kalt. Erst sind es Wenige, die sich vor dem Frankfurter Hauptbahnhof die Hände an den Kaffeebechern wärmen. In der „Hauptstadt des Kapitalismus“ findet diesen Samstag erneut eine Demonstration für die Freilassung von Bradley Manning statt.
Der 24-jährige Obergefreite der US-Armee soll mehrere hunderttausend Dokumente von US-Militär und US-Diplomatie an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergeleitet haben. Er befindet sich deshalb seit Mai 2010 in Haft.
Seine Haftbedingungen wurden von Amnesty International als menschenunwürdig bezeichnet. Das veranlasste den Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages an einen Appell an Barack Obama.
Der Präsident, der somit auch Oberbefehlshaber der Armee ist, hat sein Urteil jedoch bereits gefällt: „Er hat das Gesetz gebrochen.“ Das ungewöhnlich harte Vorgehen gegen Manning lässt vermuten, dass an ihm ein Exempel statuiert werden soll.
„Wir sind extra aus Berlin gekommen“, sagte die motivierte Frau, die als erstes ein Schild hochhebt: „Exposing crimes is not a crime“, steht darauf. Verbrechen zu enthüllen, ist kein Verbrechen. „Ich hab auch schon Leute aus Heidelberg gesehen. Und aus Köln und Düsseldorf sind auch viele gekommen.“
In einer ersten Kundgebung werden die Umstände des Falles Manning kurz erläutert. Die Forderungen der Aktivisten sind die Freilassung Mannings, die Etablierung eines Schutzes für Whistleblower sowie eine transparente Informationspolitik.
Die Gruppe setzt sich langsam in Bewegung. Es sind ungefähr 100 Leute. „Hoch die internationale Solidarität“ schallt es durch die Frankfurter Innenstadt. „Free Bradley Manning!“ Interessierte Passanten sammeln sich um die Bewegung.
„Leute lasst das Glotzen sein, reiht Euch in die Demo ein“, dröhnt es ihnen entgegen. „Wir haben heute nicht mit wesentlich mehr Menschen gerechnet“, so Kevin Culina von der Initiative Free Bradley Manning Rhein-Main, „seitdem das Wetter schlechter ist, gehen weniger Leute auf die Straße. Außerdem ist das Interesse am Fall Bradley Manning einfach nicht so groß. Es scheint die Menschen nicht so sehr zu interessieren. Die USA sind zu weit weg.“
Ein LKW, dessen Ladefläche umfunktioniert wurde, begleitet die Demonstranten. Musik dröhnt aus den großen Boxen: „Und sperrt man mich ein, im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke. Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei: Die Gedanken sind frei!“
Das alte deutsche Volkslied, geschrieben von Hoffmann von Fallersleben, wurde schon oft in Zeiten politischer Unterdrückung als Ausdruck für die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit genutzt.
Die Demonstranten verteilen Informationsblätter an Passanten. „Die meisten Menschen wissen einfach nichts vom Fall Bradley Manning. Er ist ein Held. Wir hoffen einfach, dass wir durch unsere Aktionen Aufmerksamkeit erregen. Das hat in so vielen Fällen schon geklappt!“ erklärte eine Anhängerin der Occupy-Bewegung.
Ein weiterer Mitstreiter sagte: „Wir wissen zwar, dass wir ihn durch diese Demonstration nicht frei bekommen, aber wenn wir mehr Menschen motivieren können sich zu engagieren, wer weiß? Träume sollte man schließlich noch haben!“
Die Occupy-Frankfurt Bewegung hat an diesem Wochenende zu einem Netzwerktreffen eingeladen. Occupy-Anhänger aus ganz Deutschland versammeln sich, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ihnen wurde in den letzten Monaten mehrfach vorgeworfen, kein klares Profil zu haben.
„Das ist auch schwierig“, so ein Mitglied aus Düsseldorf, „wir haben zwar fast alle die selben Anliegen, doch sich bezüglich der Umsetzung einig zu werden, ist ein langwieriger Prozess. Der Eine sagt: „Der Kapitalismus muss abgeschafft werden!“.
Dann sagt aber wieder ein Anderer: „So einfach ist das nicht! Es geht nicht um den Kapitalismus an sich, sondern um das Ausmaß der Auswirkungen!“ Er sei jedoch zuversichtlich, dass sie einen Weg finden werden.
Die Ziele seien einfach zu wichtig, um sich einfach wieder zurückzuziehen. Der engagierte junge Mann mit den Locken studiert Jura und war kurz vor seinem zweiten Staatsexamen als er auf die Occupy-Bewegung aufmerksam wurde. „Das war mir dann erst mal wichtiger. Das Staatsexamen werde ich sicherlich noch machen. Das muss aber warten.“
Der Protestzug führt auch durch das Bankenviertel.
Unmittelbar vor dem Eurotower, dem Sitz der Europäischen Zentralbank, hat die Frankfurter Occupy-Bewegung ihre Zelte aufgeschlagen.
Ein riesiges Plakat prangt vor der Euro-Skulptur: „Ihr spekuliert mit unserem Leben!“ steht darauf. Im Protestcamp auf dem Willy-Brandt-Platz wird Tag und Nacht über weitere Aktionen diskutiert.
Die Demonstranten finden sich letztlich auf dem Goetheplatz ein. Redner der Abschlusskundgebung ist unter anderem Boykin Reynolds, Aktivist von Occupy Frankfurt. Der Mann mit dem grauen Vollbart und dem sympathischen Akzent vergleicht den Fall Manning mit dem des Daniel Ellsberg.
Der ehemalige hochrangige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums war maßgeblich an der Veröffentlichung der sogenannten Pentagon-Papiere beteiligt, die wesentlich zur Beendigung des Vietnamkrieges beitrugen. Der bald 81-jährige Ellsberg ist heute einer der lautstärksten Unterstützer Mannings. Reynolds findet es arrogant zu behaupten, wir stünden am Ende der Geschichte: „Leute, da sind wir noch lange nicht! Wir schreiben sie noch!“
(Fotos: Jasmin Merscher)
1.
M. Angenendt schrieb am 27.01.2012 um 23:52 Uhr:
Zitat:
Reynolds findet es arrogant zu behaupten, wir stünden am Ende der Geschichte: „Leute, da sind wir noch lange nicht! Wir schreiben sie noch!“
Wie wahr! Schon oft haben wir erlebt, dass vieles eine andere, unerwartete Wendung nahm.
Dass sich auch unsere aktuelle Form der Demokratie wandeln wird, da bin ich mir sehr sicher. Immer mehr Bürger fordern mehr Transparenz und Beteiligung ein. Ob es der Politik gefällt oder nicht.
Obama? Klar, muss der jetzt Härte zeigen. Ob es ihm gefällt oder nicht. Er hatte Visionen und Vorstellungen.
Nun muss selbst der angeblich mächtigste Mann der Welt erkennen, wer die wirkliche Macht auf unserem Planeten hat: milliardenschwere, viel mächtigere Tycoone als er.
Die Occupy-Bewegung ist wichtig und sie wird wachsen.