Erste Konturen des „Drehbuchs“ für Tagebauregion • Planungsexperten schmieden zusammen mit Tagebaurandgemeinden Ideen für morgen und übermorgen
Hauptredaktion [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Ein grünes, wallartig angelegtes Band aus Bäumen umsäumt einen riesigen See, streift die neu angelegten „Garzweiler Gärten“, die sich mit Gemüse und Obst zur Genusslandschaft entwickelt haben und schließt an eine großräumig angelegte Parklandschaft an.
Der See dient dabei als neue Energiequelle über Wasserspeicher.
Unternehmen und Forschungslabore aus Wissenschaft und Technik haben sich angesiedelt, um nicht nur die Technik von morgen, sondern auch High-Tech-Produkte im Food-Anbau zu entwickeln und Touristen erleben per Seilbahn die topografischen Besonderheiten einer zum Teil terrassenförmig angelegten Landschaft, die früher einmal durch den Braunkohlenabbau schmerzhaft geprägt war.
So oder ähnlich könnte jenes „Drehbuch“ aussehen, an dem fünf Tage lang die zum informellen Planungsverband zusammengeschlossenen Kommunen Erkelenz, Titz, Jüchen und Mönchengladbach schmieden.
Für eine Woche wird das Rittergut Wildenrath in Wanlo zu einer Ideenschmiede, deren Ergebnisse später einmal dazu führen sollen, den Tagebau Garzweiler und sein Umfeld schrittweise in eine positive Zukunft zu überführen. Das Verfahren wird begleitet vom Duisburger Büro planb, Christian Jürgensmann; externe Experten sind als Berater hinzugezogen.
„Mit der Werkstatt sollen die unterschiedlichen Vorstellungen, Visionen, Wünsche, Forderungen und Hoffnungen in einem Handlungsrahmen miteinander in Beziehung gesetzt werden und in eine Art Drehbuch münden, welches Grundlage für planerische Schritte bis zum Jahr 2035 sein soll“, so Christian Jürgensmann zum Prozess.
Dass die vier Planungsbüros aus Mailand, Rotterdam, Hamburg und Hannover mit Feuereifer dabei waren und ihren Spaß an der eher ungewohnten gemeinsamen Planung im Gegensatz zur sonst alltäglichen Konkurrenzsituation hatten, zeigte sich gestern beim sogenannten „Schulterblick“, bei dem die ansonsten geschlossenen Türen der Planungswerkstatt zwei Stunden lang für die Öffentlichkeit geöffnet wurden.
Zahlreiche neugierige Bürgerinnen und Bürger nutzten denn auch die Gelegenheit, den Planern über die Schultern zu schauen.
„Es ist schon spannend zu erleben, wie sich die vier unterschiedlichen Büros ergänzen, ihre Vorstellungen zur landschafts- und sozialplanerischen Entwicklung der Tagebauregion einbringen und dabei die nahe wie ferne Zukunft im Blick haben. Es ist wichtig, nicht erst in 50 Jahren mit dem Planungsprozess zu beginnen“, freuen sich die Vertreterinnen und Vertreter von Jüchen, Erkelenz, Titz und Mönchengladbach.
“Es ist total spannend, die unterschiedlichen Ansätze zur Lösung eines komplexen Problems zu erleben, bei denen von Mikro- und Makroebene, von Landschafts-Loops und Zentrifugen die Rede ist“, ergänzt Barbara Weinthal, Leiterin Fachbereich Umwelt, der Stadt Mönchengladbach.
Andrea Balestrini vom Büro KLA kiparlandschaftsarchitekten aus Duisburg bringt das Thema „Landwirtschaft 2.0“ ins Spiel, eine Genusslandschaft in Gestalt der „Garzweiler Gärten“, die sich an den Grüngürtel um den riesigen Restsee schmiegen.
„Die bestehende Grüninfrastruktur sollte weiter ausgebaut und durch besondere Akzente ergänzt werden“, zeigt er auf eine Lagekarte, auf denen seine Ideen festgehalten sind.
Eine großräumige Parklandschaft, die nicht nur den Tagebau Garzweiler, sondern auch die beiden anderen Tagebauen Inden und Hambach einbeziehen, zieht der niederländische Architekt Rob Kanbier von KuiperCompagnons in Erwägung.
Er entwickelte die Idee neuartiger Wasserspeicher zur Energiegewinnung und der Ansiedlung eines Forschungs- und Wissenschaftszentrums.
„Diese Planungswerkstatt ist eine absolute Herausforderung. Hier haben wir die große Chance, etwas Neues zu schaffen, was es vorher noch nicht in dieser Form und Konzentration gab“, betont Kanbier.
Das sieht auch Verena Brehm von Cityförster Partnerschaft mbB Hannover ähnlich: „Die Verzahnung von Landschaft und Raum, die durch den Abraum geschaffene extreme Topografie und die Chancen für eine multifunktionale Nutzung für Erholung, Freizeit und Sport bieten einzigartige planerische Möglichkeiten, die der gesamten Region ein markantes Gesicht verleihen.“
Brehm bezieht auch die bereits vorhandene Kohlenbahn zwischen Hambach und Garzweiler in ihr Zukunftskonzept ein und als weiteres Verkehrsmittel eine Seilbahn von Erkelenz nach Kaulhausen und Jüchen mit einbezieht.
Ein Radschnellweg zieht sich ebenso durch die Landschaft wie neue Bebauungsstrukturen auf Terrassen oder Hochpunkten.
Auch sie sieht die drei Tagebaue als großes Ganzes: „Das Gebiet kann zukünftig für die gesamte Region entlang der in vielerlei Hinsicht überlasteten Rheinschiene interessant werden, sowohl was den Siedlungsdruck, den Wohnungsmarkt oder den Tourismus angeht; ein Ventil eben“, sagt Brehm.
Vor allem aber für die betroffenen Menschen in den betroffenen Kommunen soll die Region wieder eine Heimat mit kleinen und großen Besonderheiten werden.
„Wir brauchen erlebbare Qualitäten auf der einen und eine Art Schutzwall für die Anwohner auf der anderen Seite“, betont Dr. Susanne Kost von der Universität Hamburg, die gemeinsam mit den Betroffenen den sozialräumlichen Aspekt untersucht und sie dazu interviewt hat.
„Was sind die Dinge, die zukünftig eine Rolle spielen, wie kann es weitergehen, gibt es eine Zukunft?“, Fragen, die in gemeinsamen Gesprächen zu Lösungsansätzen führen sollen.
Insgesamt sind sich bei diesem „Schulterblick“ Beteiligte einig:
Die ersten in der Planungswerkstatt erarbeiteten Lösungsansätze für ein zukünftiges Drehbuch, das die landschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und städtebaulichen Entwicklungen der Tagebauregion zunächst bis zum Zeithorizont 2035, in der Fortentwicklung dann bis zum Jahr 2080 betrachtet, sind vielversprechend.
Das Drehbuch soll auch in die Landes- und Regionalplanung sowie das anstehende Braunkohlenplanverfahren gleichermaßen einfließen.
Dabei soll zukünftig die Bevölkerung auch weiter beteiligt werden.
Fotos: Stadt Mönchengladbach
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Pluto schrieb am 11.09.2016 um 07:36 Uhr:
Eine vermooste kleine Ecke für einen dekadenten Scheich sollte nicht vergessen werden.
Dann müssen nicht immer unsere Naturschutzgebiete herhalten.