Leben am Abgrund
Willi Büschgens [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Ganz herzliche Grüße aus meinem Wohnort Elsdorf sende ich Ihnen. Heute ist wieder so ein herrlicher Sommertag, blauer Himmel, angenehme 24°, fast windstill.
Obwohl ich in dieser „Woche Urlaub habe, bin ich schon seit 5 Uhr auf den Beinen. An Schlaf war heute Morgen nicht mehr zu denken.
Ich wollte die angekündigte laue Sommernacht genießen und bin gestern Abend bei offenem Fenster eingeschlafen. Der Lärmpegel, der bei bestimmten Witterungstagen über 24 Stunden, Tag für Tag ununterbrochen aus dem nahen Tagebau dringt, ist unerträglich, insbesondere in den Nachtstunden.
Die monotonen Geräusche sich drehender Schaufelräder, das metallische Quietschen sich bewegender Arbeitsgeräte und das Rollen der Transportbänder bilden einen stetigen, krankmachenden Lärmpegel.
Aber das frühe Aufstehen hat auch sein Gutes: es bleibt viel Zeit für die häuslichen Arbeiten.
Und die Zeit braucht man. Die Gartenmöbel, die ich vor drei Tagen schon mal einer gründlichen Reinigung unterzogen hatte, sind wieder voller Kohlendreck und sandiger Erde, herübergeweht aus dem Tagebau.
Meine Frau hat sich direkt unseren Fenstern und Außentüren gewidmet. Zum dritten Mal in diesem Monat muss der schwarze schlierige (Belag von den Fensterrahmen und -bänden abgewaschen werden. Auch dem auf den Scheiben abgebildeten Staubwolken kann man wöchentlich zu Leibe rücken.
Der Bergbautreibende hat zwar „Vorsorge“ getroffen, indem begrünte Erdwälle in Dorfnähe errichtet wurden und Beregnungsanlagen hat man auch installiert; doch das Ganze wirkt, als würde die Venrather Feuerwehr einen Großbrand alleine mit einem Gartenschlauch bekämpfen.
Bei all der Arbeit hatte ich aber heute auch Zeit, unseren schönen Garten im Liegestuhl zu genießen.
Mein gestriger Arztbesuch hat für mich die beruhigende Diagnose ergeben, dass das ständige Einatmen der schmutzigen, mit Staub- und Kohlepartikel durchsetzten Luft noch keine bleibenden Schäden bei mir hinterlassen hat; dieses Glück haben nicht alle Menschen hier in der Umgebung.
Ich gönnte mich also beruhigt in meinem Liegestuhl zurücklehnen. Wenn da nicht immer diese Gedanken wären: Haus verkaufen, wegziehen, irgendwo anders neu bauen oder was kaufen, vielleicht wieder nach Kaulhausen oder Venrath zurück?
Aber so einfach ist das nicht. Unser Haus haben wir vor 15 Jahren gekauft, im Laufe der Zeit haben wir sehr viel investiert, um es unseren Wünschen und Vorstellungen entsprechend herzurichten.
Unsere Arbeitsstellen sind in der Nähe.
Trotzdem haben wir versucht, unser Haus auf dem Immobilienmarkt anzubieten. Das Resultat ist erschreckend.
Wie viele andere in unserem Ort mussten auch wir die Erfahrung machen, dass ein Haus in dieser Lage überhaupt nicht mehr zu verkaufen ist. Wer zieht schon in einen Ort „am Ende der Welt“?
Die Welt ist hier am Tagebaurand, am Rand eines riesigen Loches tatsächlich zu Ende.
Und die bekannten Belastungen durch Lärm, Staub und Dreck sind auch kein sonderlich gutes Verkaufsargument.
Der Wert der Immobilie ist ins Bodenlose gefallen. Verkaufen ist für uns überhaupt nicht mehr möglich.
Es gibt noch so viel zu berichten, kommen Sie doch bitte
am Freitag, 22. Juli 2011 um 20.00 Uhr in die Gaststätte Bruns in Venrath
Hier gibt’s weitere Informationen über den geplanten Tagebau Garzweiler II und das Schicksal der vom Tagebau betroffenen Ortschaften Venrath und Kaulhausen.
Für heute nochmals ganz herzliche Grüße aus Elsdorf.
Willi Büschgens
wibue@t-online.de
3.
Kerstin Königs schrieb am 14.07.2011 um 14:18 Uhr:
Einfach nur entsetzlich. Wer schon einmal direkt am Grubenrand gestanden hat, dem wird klar welch weitreichender Eingriff in die Natur und das Leben der „Verbliebenen am Grubenrand“ das bedeutet.
Mag sein, dass diese riesige Wunde in der Landschaft und die Braunkohlebagger eine gewisse Faszination ausüben. Aktuell, da längst die Energiewende diskutiert wird, kann man darüber nur noch den Kopf schütteln.
Warum baut man auf den zum Abbaggern vorgesehenen Flächen keine Photovoltaik- und Windenergieanlagen? Das wäre mit Sicherheit nachhaltiger. Menschen, Natur, Boden und Grundwasser würden geschont. Diese Anlagen könnte man sogar, wenn man irgendwann will, wieder entfernen.
Das, was RWE und in den neuen Bundesländern andere Energieversorger, verursachen, wird für Generationen negative Auswirkungen haben. Zählt das eigentlich alles nichts?
Warum wurde dem Braunkohleplan für Garzweiler II (1993 oder 1995?) überhaupt noch zugestimmt? Politisch meine ich. Auch damals waren längst die Möglichkeiten der Erneuerbaren Energien bekannt. Waren die Lobbyisten stärker? Wer kann oder will uns die Frage nach diesem „Warum“ beantworten?
Warum wird dieser Wahnsinn weiterhin betrieben? Weil es Verträge gibt und sich „Investitionen“ (z.B. mehr als 50 Jahre alte Kohlekraftwerks-Dreckschleudern) „lohnen“ müssen? Vermutlich könnte RWE bei einem politisch gewollten Stopp dieses Wahnsinns genauso klagen wie aktuell gegen die Abschaltung ihrer Schrott-Reaktoren, die uns alle sogar noch gefährden bis sie endlich abgekühlt sind.
Was ist das für ein Konzern, der nur auf Dinosaurier-Technologien wie AKW und Braunkohle setzt? Der die Zukunft ganz offensichtlich verschlafen hat oder gar nicht wahrnehmen wollte und nur ans Geld scheffeln denkt?
Was sind das für Politiker, die dem zugestimmt haben und es auch heute noch ganz toll finden? Ja, noch einen draufsetzen und der CCS-Technologie-Erprobung zugestimmt haben! Sind wir Menschen/Bürger denen vollkommen egal?
Beide Technologien beinhalten gesundheitliche Gefahren. AKWs die Remission (Brennstäbewechsel, bei dem regelmäßig das bis zu 160-fache der zugelassenen Werte freigesetzt wird), Braunkohletagebau die Feinstaubbelastungen (ab PM 2,5, mit Folgen wie Krebs, Bronchialerkrankungen, Asthma, Allergien), Dreck, Lärm und Umwelt- und Grundwasserzerstörung.
Nicht nur bei uns nimmt „Garzweiler II“ den Menschen Lebensqualität. In den neuen Bundesländern sieht es genauso aus:
http://www.lr-online.de/regionen/hoyerswerda/Leben-nahe-der-Tagebaukante;art1060,3418697
„Leben nahe der Tagebaukante: Neupetershain Einwohner der Gemeinde Neupetershain sowie der Nachbarkommunen Welzow und Proschim wollen Beeinträchtigungen, die durch den angrenzenden Tagebau Welzow-Süd verursacht werden, nicht widerspruchslos hinnehmen.“
Elsdorf, Hambach, Niederzier, Grevenbroich, Neupetershain, Welzow, Proschin. Alles nur Wutbürger?
Das Grauen hat mindestens zwei Namen: RWE und Braunkohletagebau. Demnächst auch für die Bewohner in Wanlo.
2.
Jose schrieb am 11.07.2011 um 22:13 Uhr:
Wer „am Ende der Welt“, also am Tagebaurand leben muss wurde bzw. wird enteignet. Das darf man so nennen.
Es ist absolut unbegreiflich und bis auf den heutigen Tag nicht nachvollziehbar, dass es Poltik(er) zugelassen haben, dass Menschen zugemutet wird wenige hundert Meter vom Tagebaurand leben zu müssen.
Auch das ein Geschenk an RWE. Hätte man entschieden, dass rund um den Tagebau alle Ortschaften einen Mindestabstand von 1,5 bis 2 km zum Grubenrand haben müssen, wäre das für RWE richtig teuer geworden.
Also müssen die, deren Orte bleiben, MÜSSEN Enteignung, Lärm, Dreck, Feinstaub und alle damit einhergehenden Belastungen (auch gesundheitliche und oft die schlimmsten) aushalten und hinnehmen. Ohne jeden finanziellen Ausgleich.
Schon für Bergschäden, die im Umkreis von 3.000 qkm um den Tagebau nicht ungewöhnlich und üblich sind, eine Entschädigung einzufordern ist nahezu unmöglich. Der Geschädigte muss nachweisen, dass der Tagebau die Ursache ist! Mehr braucht man dazu nicht zu sagen.
RWE hat es immer verstanden Politik(er) und Verwaltungen für sich zu vereinnahmen. Zu viele aus der Politik und den Verwaltungen sitzen/saßen (gutdotiert) in Aufsichtsräten und Beiräten. Das hat Tradition seit Jahrzehnten.
Umsiedlung in Reißbrettwohnsiedlungen? Heimatverlust? Alles kein Thema für RWE Power (früher Rheinbraun). Aus dem Braunkohleplan zu Umsiedlungen:
Eigentümer: Im übrigen werden ggf. Finanzierungshilfen und ein Härteausgleich gewährt.
Umsiedlungen, Mieter: Im übrigen wird auch Mietern ggf. ein Härteausgleich gewährt.
Zu achten ist auf das „ggf.“! Denn, was „ggf.“ gezahlt wird oder besser was alles nicht, das entscheidet RWE.
Der Heimatverlust älterer Menschen wird kleingeredet.
Verluste von Arbeitsplätzen ebenfalls. Das „mögliche Ausmaß solcher Arbeisplatzverluste ist allerdings gering“.
Die Bewohner im Territorium des Braunkohlegiganten sind dessen Plänen unterworfen. Für ihr ganzes Leben. Per Gesetz wurde das alles ermöglicht. Das privatwirtschaftliche Unternehmen wurde per Gesetz mit höchster Legitimation ausgestattet, weil es Braunkohle und Rendite(!) „zum Wohl der Allgemeinheit“ gewinnnt …
Zur Verdeutlichung RWE denkt nicht kurzfristig. Schon 1982 wurden fünf Modelle der Tagebaue „durchgespielt“. Modell V denkt bis ins Jahr 2.250 (!!). Auswirkung: Bergheim, Kerpen und Bedburg wären umzusiedeln. 175.000 Menschen! Allein über solche Ideen kann man nur noch sprachlos vor Entsetzen sein.
In ökologischer, sozialer und vor allem auch wirtschaftlicher Hinsicht wird eine ganze Region zerstört. Dauerhaft. Da helfen auch keine Rekultivierungs- und Aufforstungsprogramme – der Boden bringt und hält nicht was RWE vollmundig verspricht. Kann er auch gar nicht. Das Zeug aus der Verkippung mit ein wenig Mutterboden oben drauf taugt nichts. Bis auf diesen „Äckern“ genug Humus eingearbeitet ist vergehen Jahrzehnte.
Die Erträge sind mies und die „Wälder“ kleinwüchsig und mickrig. Das Holz von schlechter Qualität.
Das Grundwasser (ehemals eines der besten, reinsten und größten Vorkommen Deutschlands!) auf Jahrhunderte zerstört.
Das alles will in der Politik niemand wahrhaben.
Der frühere Regierungspräsident Antwerpes (SPD) prophezeite sogar eine Klimaverbesserung durch den Tagebau!
1.
Pincopallino schrieb am 10.07.2011 um 16:02 Uhr:
Meine Güte! Ihnen, Herr Büschgens, und allen, die in unmittelbarer Nähe dieser ökologischen Katastrophe leben müssen, gehört mein vollstes Mitgefühl!
Angesichts dieser immensen Belastungen für die Menschen, denen Lärm, Staub und Dreck ohne jeglichen Schadenersatz zugemutet werden, die quasi indirekt enteignet werden, da ja ihre Immobilien keinerlei Wert mehr besitzen, und natürlich angesichts der unsäglichen, irreversiblen Umweltzerstörung, die mit dieser Form der Koheförderung einhergeht, drängt sich doch wirklich die Frage auf, ob wir das wirklich alles noch brauchen??
Oder braucht das nur RWE, um seine extra für diesen Zweck errichteten Kohlekraftwerke weiterhin zu füttern und am Laufen zu halten?
Die Wanloer, denen dieses fragwürdige Spektakel nun wohl auch in absehbarer Zukunft vor der Haustüre geboten werden wird, tun mir jetzt schon Leid.
Es ist unerträglich, dass RWE (u. a.) geradezu über uneingeschränkte (Macht-)befugnisse verfügt …!!