Patientenverfügung muss auch in stationären Pflegeeinrichtungen uneingeschränkt gelten
Red. Giesenkirchen [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Gemäß § 1901a BGB -Patientenverfügung hat jeder einwilligungsfähige Volljährige die Möglichkeit, mittels einer schriftlich abgefassten Patientenverfügung zu bestimmen, dass im Falle einer exakt festgelegten Lebenssituation bestimmte (in der Regel lebensverlängernde) Maßnahmen, wie z.B. die Zuführung von Nahrung und Flüssigkeit mittels Magensonde (PEG) oder die künstliche Beatmung, zu unterbleiben haben.
Veränderungen der Rechtslage durch Vertrag sind nicht zulässig.
Insoweit gibt es auch keine Einschränkungen dergestalt, dass solche Unterlassungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn sich der Betroffene im Sterbeprozess befindet (sog. Reichweitenbegrenzung).
Letztlich darf auch niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet oder die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.
Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass niemand verpflichtet werden kann, von der Errichtung einer Patientenverfügung oder bestimmten Festlegungen hinsichtlich Behandlungsabbruch abzusehen.
Der Gesetzgeber hat mit den neuen Regelungen eine eindeutige Rechtslage geschaffen mit der Folge, dass sich auch bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Heimbewohnern uneingeschränkte Pflichten dahingehend ergeben, eine wirksam errichtete Patientenverfügungen zu respektieren und ihre Durchsetzung zu gewährleisten.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die durch den Gesetzgeber geschaffene Rechtslage als mit dem Lebensschutz nicht vereinbar hinzustellen.
Vor allem sind seit dem Urteil des BHG vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – immer wieder Rufe laut geworden, die neuen Vorschiften im BGB im Sinne einer vermeintlichen Stärkung des Lebensschutzes zu korrigieren und die Verfügungskompetenzen Volljähriger hinsichtlich der Unterlassung bzw. des Abbruches von Behandlungs- und Pflegemaßnahmen einzuschränken.
Solche Erwägungen haben nun einen Heimträger bewogen, dem rechtlichen Betreuer einer Bewohnerin eine Nebenabrede zum Heimvertrag abzuverlangen.
Der diesbezügliche Brieftext (anonymisiert) im Wortlaut:
„Zwischen der Pflegeeinrichtung X und Frau Y wird der Heimvertrag in § 11 wie folgt ergänzt:
„Das Heim und dessen Mitarbeiter haben die sittliche Überzeugung, dass die Verpflichtung besteht, Leben zu schützen und zu pflegen.
Der Bewohner oder sein rechtlicher Vertreter wird vom Heim und seinen Mitarbeitern daher ein Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit nicht verlangen, auch wenn eine entsprechende Patientenverfügung oder ein entsprechender mutmaßlicher Wille vorliegt.
Sollte der Bewohner oder sein rechtlicher Vertreter daher beabsichtigen das Leben des Bewohners durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug zu beenden, verpflichtet er sich, den Heimvertrag zu kündigen und die beabsichtigte Maßnahmen in einer damit vertrauten Institution (Hospiz o.ä.) oder zu Hause durchzuführen.“
Auf die Frage, ob und inwieweit solche Nebenabreden zulässig sind, ergibt sich folgende Beurteilung:
Der rechtliche Betreuer (bzw. Bevollmächtigte) hat dem Patientenwillen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a BGB).
Dies auch dann, wenn es um einen Behandlungsabbruch bzw. das Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit geht (vgl. Urteil des BGH vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 -).
Der Heimträger bzw. die Führungsverantwortlichen sind in der Pflicht, die Patientenautonomie zu achten (siehe auch die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“).
Es kann unter diesen Umständen keine Veranlassung gesehen werden, die gewünschte Vertragsänderung als zulässige Ergänzung des Heimvertrages anzusehen.
Sollte der Heimträger weiterhin auf eine Vertragsänderung drängen, wäre eine Unterrichtung der Pflegekassenverbände, die über die Zulassung von Pflegeeinrichtungen mit zu befinden haben, zu denken.
Denn es müsste die Frage aufgeworfen werden, ob sich der Heimträger mit seinem Ansinnen nicht außerhalb des Rechtsrahmens des SGB XI stellt und seine Zulassung zur Versorgung von pflegebedürftigen Menschen zu Lasten der Solidargemeinschaft zurückgenommen werden muss.
Dem beschriebenen Ansinnen des Heimträgers sollte aus grundsätzlichen Erwägungen entgegen getreten werden. Es ist nämlich auch so, dass der Durchsetzung eines Behandlungsabbruches durch Einstellung der künstlichen Ernährung weder heimrechtliche Gründe noch Gewissenserwägungen einzelner Personen entgegen stehen können.
Denn der BGH hat bereits in einem Beschluss vom 08.06.2005 – XII ZR 177/03 – in der Streitsache des Wachkomapatienten P. ausgeführt und klargestellt, dass heimrechtliche Erwägungen und die Freiheit des Gewissens von Pflegekräften die Patientenautonomie nicht einschränken können.
Bei einer Abwägung widerstreitender Interessen habe das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu dominieren.
Und das ist auch gut so!
Im Übrigen bleibt noch anzumerken, dass sich die Gründe, aus denen ein Heimvertrag beendet werden darf und kann, im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) abschließend geregelt sind.
Dies ist zwingendes Recht, so dass ein zusätzlicher Beendigungstatbestand nicht durch eine Nebenabrede im Heimvertrag – als sog. „Gewissensklausel“ – geschaffen werden kann.
Werner Schell – Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk
http://www.wernerschell.de und
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/