In Russland sind sie „die Deutschen“ und in Deutschland „die Russen“ • Eine Volksgruppe im politischen Spannungsfeld
Red. Gesundheit & Soziales [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Vor 250 Jahren, am 22.07.1763, erließ die russische Zarin Katharina II. ihr zweites Einladungsmanifest für ausländische Kolonisten.
Viele Menschen aus deutschen Ländern folgten in den kommenden Jahren dem Ruf der als Prinzessin Sophie Friederike von Anhalt-Zerbst geborenen Landsmännin.
Angelockt von der Aussicht auf Wohlstand auf „eigener Scholle“ und Versprechen besonderer Privilegien, wie z. B. Befreiung vom Militärdienst, Zusage auf Religionsfreiheit, Selbstverwaltung und Wahrung der deutschen Sprache, folgten rund 100.000 Menschen vorwiegend aus Süddeutschland diesem Ruf.
An der Wolga, am Kaukasus und in der Ukraine gründeten sich die ersten deutschen Kolonien – der Beginn der deutsch-russischen Geschichte. Jedoch werden die deutschen Einwanderer in Russland zum Spielball der jeweiligen Machthaber.
1871 schafft Zar Alexander II. die Selbstverwaltung deutscher Gebiete ab, was viele zur Auswanderung in die „Neue Welt“, nach Amerika, antreibt.
Der 1. Weltkrieg stellt eine schwere Zäsur dar, waren Deutschland und Russland doch Kriegsgegner.
Die „deutschen Russen“ (oder sind es russische Deutsche?) bekamen Repressalien und Missgunst zu spüren. Viele wurden zwangsumgesiedelt und enteignet, litten unter Progromen.
Viele Deutschstämmige wanderten im Zuge dessen erneut von Russland nach Amerika, Kanada, Südamerika und Australien aus. Die Zurückgebliebenen bekamen mehr und mehr den Druck einer Diktatur unter Stalin zu spüren, der mit dem Verlauf des 2. Weltkrieges schlimmer wurde.
Sie wurden nach Sibirien und Kasachstan deportiert, Männer, Frauen und Jugendliche in Zwangsarbeitslager gesperrt, von „Säuberungswellen“ ergriffen, verschleppt, ihrer Kultur und Sprache beraubt…
Die Geschichte dieser ursprünglich deutschen Einwanderer in Russland ist auch im 20. Jahrhundert von Schikanen bis hin zum Terror geprägt mit wechselnden Hoffnungsschimmern je nach politischer Konstellation.
Ab 1948 durften Ansiedlungsorte nicht ohne Sondergenehmigung verlassen werden, ansonsten drohte Zwangsarbeit.
1985 war dann ein Wendejahr für „Russlanddeutsche“. Ihnen wurde die Einreise in die BRD eröffnet. Über 200.000 Spätaussiedler waren es bis 1994.
Zahlreiche Veranstaltungen in der Bundesrepublik erinnerten in diesem Jahr an die Geschichte dieser deutschstämmigen Volksgruppe.
Eine Festveranstaltung fand auch am 22.11.2013 in der Staatskanzlei des Landes NRW in Düsseldorf statt (Bild: Blick aus der Staatskanzlei).
Ausrichter war der Landesbeirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen des NRW-Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales.
Neben einer Präsentation der Geschichte der Russlanddeutschen wurde auch das Einladungsmanifest von Katharina II. verlesen.
Aktuelle Daten, Berichte und Erhebungen sollen die heutige Lebenswirklichkeit der Spätaussiedler erfassen, vermelden Positives wie Negatives.
„In einer Talkrunde mit Spätausgesiedelten äußerten sich alle insgesamt positiv über ihr Leben in der Bundesrepublik“, berichtet Rainer Ossig, der zu diesem Festakt eingeladen war.
„Allerdings haben sie es auch selbst in die Hand genommen. Die deutsche Sprache ist nun einmal der Schlüssel zum Erfolg in unserem Land“, meint er.
Besonders beeindruckt war er von dem Theaterprojekt einer Privatschule in Lippe, die nach eigenen Angaben zu 70% von Kindern der Spätaussiedler besucht wird: „Es beginnt mit dem Erlass der Zarin, führt dann weiter durch die Lebensbedingen der letzten 250 Jahre in Russland und endet schließlich mit einer Hochzeit, hier in Deutschland. Unterschiedlicher konnten die Gegensätze nicht sein…“
Das Verständnis für eine Bevölkerungsgruppe wächst mit dem Wissen über deren Herkunft, Kultur und Geschichte.
Daneben kann man aus der russischen Geschichte auch lernen, wie Integration besser nicht ablaufen sollte.
Denn erst mit dem Verstehen und dem Wissen können Probleme besser angepackt werden.