Arbeiten beim Logistiker in Güdderath: „Da wirst du ausgelutscht“ • Ein Ergebnis des Seminars vom „Bündnis für Menschenwürde und Arbeit“
Herbert Baumann [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Gerd J. ist 41 Jahre jung und wieder ein zufriedener Mensch, wie er sagt. Langzeitkrank, daraufhin ohne Job, langzeitarbeitslos – da litten er und seine Familie.
J. hat vier Kinder, seine mitverdienende Frau trug in der „heftigen Krisenzeit“ maßgeblich mit dazu bei, dass die Js. wirtschaftlich nicht untergingen.
„Ohne Arbeit nimmst du am Leben nicht teil, bist ausgegrenzt“, sagt der Mann mit der Stoppelfrisur.
Das hat sich längst geändert. J. ist im „Aha 100“ in Aachen aktiv.
Sein „Bürgerjob“ ist zwar für drei Jahre befristet, doch jetzt „lebt“ J. wieder.
Das „Aha“ verwertet u.a. gespendete Möbel – und verkauft sie an Bedürftige.
Auch J. erzählte seine Geschichte vor etwa 70 Teilnehmern eines ganztägigen Seminars, das das Bündnis für Menschenwürde und Arbeit im „Haus der Region“ in Mönchengladbach-Stadtmitte veranstaltete.
Das anspornende Thema des Tages „Mehr Gerechtigkeit für ein menschenwürdiges Leben.“ Und dazu gehört Arbeit, die so bezahlt wird, dass es zu einem menschenwürdigen Leben reicht.
Niedriglohn, Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge – der Prozess der „schleichenden Spaltung“ zwischen denen, die haben und denen, die zuwenig haben, sei im vollen Gange, kritisierten Vertreter der Gewerkschaft NGG.
Ein Teilnehmer berichtet, dass er bei einem großen Logistiker, der jetzt den Betrieb im Güdderather Regio-Park aufnahm, 8,79 Euro brutto die Stunde erhält.
Der Vertrag ist befristet auf ein Jahr, bei gleichzeitig halbjährlicher Probezeit. Ein Betriebsrat sei verboten.
„Da wirst du ausgelutscht.“ Der Mann rechnet vor, dass er als Arbeitsloser fast genauso viel Hartz IV bekäme.
„Die immer wieder zitierte soziale Marktwirtschaft gibt es nicht“, sagt Ralf Welter, Lehrbeauftragter an der FH Aachen.
In der globalisierten Wirtschaft blieben soziale Aspekte auf der Strecke. Ändere sich nichts, verschärfe sich die Armutsspirale.
Konkret: Wenig Lohn, wenig Rente. In Zeiten des Lohndumpings würden demnächst 40 Prozent der Rentner in Deutschland arm sein.
Folge: Sie müssen aufstocken. Schon jetzt sei die Rente längst kein Lohnersatz mehr, sie sichere nicht mehr den Lebensstandard.
Es sei denn, man hat privat vorgesorgt. Doch wer kann das schon, der nicht einmal den Mindestlohn erhält.
Auch die Kirchen wurden kritisiert, die sich als Kapitaleigner in die Reihe derjenigen stellten, die die wirtschaftliche Maxime und weniger den Menschen sähen.
Laut Welter erhält eine Frau in Deutschland durchschnittlich 480 Euro Monatsrente.
Was tun? Sich zusammenschließen, sich wehren, sagten einige. „Warum gehen wir nicht auf die Straße, so wie in Griechenland oder Portugal“, fragte eine Teilnehmerin.
Johannes Eschweiler vom Bündnis sagt: „Wir werden intensiver handeln müssen.“ Konkret wurde er (noch) nicht.
Zwischen lebhaften Diskussionen präsentierten Gruppen und Initiativen engagiert ihre Forderungen und Anregungen.
Beeindruckend wie ernüchternd die Fotoausstellung „face to face, Gesichter & Geschichten & Hartz IV“. Langzeitarbeitslose („Wenn wir das jetzige System ändern, gibt es Gerechtigkeit für mehr Menschen“) haben sich gegenseitig fotografiert und schrieben dazu ihre „Lebenstexte“.
Da schildert eine junge Frau, dass man ihr zwar den Job genommen hat, nicht aber „meine Träume und Sehnsüchte“.
Das Bündis für Menschenwürde und Arbeit ist aktiv in der Region Mittlerer linker Niederrhein.
Es solidarisiert sich mit Menschen, deren Stimme in der Gesellschaft kaum zählt.
Weitere Infos unter Tel. 02161/9489083, Kirchplatz 10, 41061 Mönchengladbach.
buero@menschenwuerde-und-arbeit.de
3.
Brummbär schrieb am 2.12.2013 um 09:39 Uhr:
Wäre echt interessant zu erfahren, was Gladbach die Ansiedlung der Logistik in Güdderath kostet.
Hersfeld 9 Millionen berappt. Leipzig hat für Amazon 13 Millionen hingeblättert.
In Leipzig streiken die Amazon-Angestellten. Ist schon eine Frechheit, dass die von einer einigermaßen ordentlichen Bezahlung träumen.
Was macht Amazon? Die ziehen weiter. Jetzt nach Polen. Angeblich nicht als Konkurrenz für Deutschland. Nein! Von Polen aus soll für Amazon.de gearbeitet werden. Also doch abstrafen für die Unverschämtheit auch was vom Gewinn mitkriegen zu wollen?
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/neue-logistikzentren-amazon-weicht-nach-polen-aus/8895436.html
Wer nicht kuscht, fliegt. Solche Unternehmen wissen wie die es anstellen müssen, dass plötzlich keine Arbeit mehr da ist, weil die dann eben woanders (z.B.in Polen) gemacht wird. Mindestens solange, bis die auch meckern und besser bezahlt werden wollen, dann geht’s eben wieder weiter.
Das ist ein obermieses System. Die Politik (nicht nur in Deutschland) macht mit den Konzernen gemeinsame Sache und hat ermöglicht, dass die kaum Steuern zahlen und Menschen sklavenähnlich ausbeuten können. Ganz legal. Angeblich regelt das der Markt und vor allem die soziale Marktwirtschaft.
Stadtfilzer schrieb richtig, dass wir eine asoziale Marktwirtschaft haben.
Auch in den USA rumort es immer mehr, erzählen die uns nur nie. Dort sind die mit der Umverteilung von unten nach oben schon weiter. Schaffen wir bestimmt auch mit Uncle Sam als Vorbild.
Beispiel Proteste gegen Walmart:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/us-konsumflaute-wut-auf-walmart/9153404.html
Wie soll das funktionieren, wenn Menschen immer weniger verdienen? Wovon sollen die was kaufen? Diese geldgierigen, aktionärshörigen Konzerne bekommen die Folgen früher oder später zu spüren, wenn keiner mehr bei ihnen kaufen kann, weil das Geld fehlt.
Blöd ist nur, dass es uns dann auch richtig übel erwischt, bevor die dran glauben müssen. Im Gegensatz zu uns haben bis dahin die Konzerne und Großaktionäre ihr Schäfchen im Trockenen, weil die uns vorher alles genommen haben.
Auch denen, die es jetzt immer noch nicht erkennen können oder wollen.
Immer mehr Dumpinglöhne und immer höhere Preise passen nicht wirklich zusammen.
2.
Ypsilon schrieb am 28.11.2013 um 17:34 Uhr:
Logistiker. Allheilmittel gegen fehlende Arbeitsplätze?
Für Politiker und Verwaltungen mag das so sein. Die müssen da nicht arbeiten.
Ein Traumjob für die Beschäftigten ist die Branche eher nicht. Die Leute müssen sportlich sein, weil viel laufen, haben jede Menge Stress dank Termindruck und totaler Kontrolle.
Fehlende Alternativen und die Arge zwingen Menschen in solche Arbeitsverhältnisse. Die, die dafür gesorgt haben sind begeistert.
Diese Begeisterung hält sich immer mehr in Grenzen, je mehr Jahre ins Land gehen und der Traum vom großen Steuerzahler sich in nahezu nichts auflöst.
Diese Jobs, die meist befristet, im Niedriglohnbereich, Leiharbeit und geringfügiger Beschäftigung angesiedelt sind, entlasten die Stadtkasse im Hinblick auf Sozialleistungen, bis auf die Aufstocker.
Mal ehrlich, das scheint nicht wirklich viel im Verhältnis zu dem, was sich Politiker davon versprochen haben und der normale Bürger als Jobmotor ansehen würde.
Was hat die Stadt MG in den Regiopark investieren müssen und was kommt noch wegen der nun ständig rund um die Uhr fahrenden Lkw an Kosten?
Lärmschutz, mehr Belastung für die Straßen. Da muss es doch Zahlen geben. Die Anwohner warten bis heute auf Äußerungen was zu ihrem Schutz passieren soll und vor allem ab wann was passiert.
http://www.bz-mg.de/stadtbezirk-sued/odenkirchen-gudderath-sasserath/regiopark-gudderath-beratung-und-beschlussfassung-ohne-kenntnis-der-verkehrlichen-auswirkungen-%e2%80%93-ruge-aus-der-bv-sud.html
Umsonst ist das bestimmt nicht zu haben.
Für Güdderath musste erst mal der ÖPNV ausgebaut werden. Das kostet auch. Hier in der BZMG war zu lesen:
„Die Verwaltung hat in der Beratungsvorlage für den Rat Kosten von 201.500 Euro (2013) und 440.000 Euro (2014) für eine bedarfsgerechte ÖPNV-Anbindung ermittelt.“
http://www.bz-mg.de/mobilitaet-verkehr/opnv-vrr/stadt-will-opnv-anbindung-an-regiopark-verbessern.html
Was kostet das ab 2015 und die kommenden Jahre? Auch wieder Jahr für Jahr 440.000 Euro? Oder gibt’s das dann ÖPNV für nix?
Was wurde für die Erschließung des Regiopark aufgewendet und wie viel davon konnte an die Investoren weiter gereicht werden? So ist das ja normalerweise üblich.
Was kommt unterm Strich für Gladbach, vor allem den Kämmerer dabei herum? Gibt es Zahlen? Die wären mal interessant zu erfahren. Gefunden habe ich dazu nirgends was. Schon seltsam. Da muss es doch Berechnungen geben, ob sich das Geschäft lohnt.
Steuereinnahmen? Blöd, dass die Unternehmen nicht ihren Firmensitz in MG haben. Nicht eines davon. Große, europaweit oder gar weltweit agierende Konzerne sind dafür bekannt so gut wie keine Steuern zu zahlen. Was kommt davon in MG an? Die Gewerbesteuer muss doch wenigstens mal über den Daumen geschätzt worden sein.
Wenn es bei uns so läuft, wie in Bad Hersfeld mit Amazon, dann wird es super. Auch dort wurde der ÖPNV erst nachträglich verbessert. Was denken Politiker und Verwaltungen eigentlich? Dass die Leute entweder gut und schnell zu Fuß sind oder ein eingebautes Höhenruder haben?
Der Bürgermeister von Bad Hersfeld zur Gewerbesteuer:
„Insgesamt ist es aber ein US-Konzern. Wir werden also nicht von Gewerbesteuern überschüttet. Da sind die weltweiten Konzerne in der Lage, internationale Gestaltungsoptionen zu nutzen.“
Aha. Auf die Frage, ob sich das trotzdem lohnt, sagt er:
„Wenn Sie es eins zu eins rechnen wollen zwischen dem, was die Stadt für die Ansiedlung gezahlt hat und dem, was da an Steuereinnahmen ist, brauche ich ein paar Jahre, bis sich das amortisiert.“
http://www.focus.de/finanzen/news/buergermeister-der-amazon-stadt-wir-werden-nicht-von-gewerbesteuern-ueberschuettet_aid_925278.html
Ein paar Jahre für die Amortisation ist relativ. Das können 5, 10 oder 20 sein. Bad Hersfeld hat 9 Millionen Euro investiert. Wie viel Mönchengladbach?
1.
Stadtfilzer schrieb am 28.11.2013 um 09:40 Uhr:
Wie wahr!:
“Die immer wieder zitierte soziale Marktwirtschaft gibt es nicht”, sagt Ralf Welter, Lehrbeauftragter an der FH Aachen.
Richtig. Wir sind mitten in der asozialen Marktwirtschaft angekommen.
Globalisierung – ich kann allein das Wort nicht mehr hören!
Billiglöhne rund um den Globus. Globaler Wanderzirkus der Industrie die „Geiz ist geil – und das füllt die Unternehmenskasse“ dabei immer fest im Blick haben.
Selbstverständlich und nicht zu vergessen die Aktionäre, von denen die mit den großen Aktienpaketen sowieso im Hintergrund die Strippen ziehen und Weichen in Richtung Gewinn stellen, Koste es, was es wolle – natürlich nur die, die diese Gewinne erarbeiten müssen!
BWLer kürzen (vor allem Löhne) was das Zeug hält, vergessend, dass sie dabei sind, sich selbst den Ast abzusägen auf dem sie noch sitzen.
Konzerne und große Unternehmen profitieren von für sie idealen Steuergesetzen und Zollabkommen, die sie maßgeblich mit diktiert haben und dadurch derart lächerlich niedrige Steuern oder besser gesagt Almosen zahlen, die die Bezeichnung „Steuer“ nicht verdienen.
Bei den Gründen dafür immer vorne weg dabei DAS Argument überhaupt: Arbeitsplätze!
Ein Hohn. Die (bestens verdienenden und phantastisch altersabgesicherten) Regierenden und Manager stört es kaum bis gar nicht.
Blöde Sprüche wie: „Hauptsache Arbeit“ sind unerträglich, genauso wie „private Altersvorsorge“. Wie hier sehr richtig beschrieben: wovon bitte!!!
Die Umverteilung von unten nach oben ist in vollem Gange. Konzerne haben die Welt im Würgegriff – aber wen stört das schon! Am allerwenigsten Politiker – die haben entscheidend dazu beigetragen, dass es so werden konnte, wie es nun ist.
In Deutschland ganz maßgeblich ausgerechnet die Parteien die „sozial“ oder „christlich“ im Namen tragen. Entweder sie wussten nicht was sie tun oder sie wussten es – beides ist unerträglich!
Nun dürfen wir uns auf eine Große Koalition genau dieser Parteien freuen!
Die mit dem „sozial“ bekam bei den Verhandlungen „ihr Räppelchen“ Mindestlohn – allerdings erst ab 2015. Mal sehen wie das konkret aussehen wird, dann auch wirklich was bringt und was bereits in Juristensprech formuliert wurde, so dass die Koalitionswelt auch in Ordnung ist, wenn der Mindestlohn, aus welchen Gründen auch immer, nicht kommt.
Doppelte Staatsbürgerschaft. Ja, ganz toll und essentiell – für die SPD, auf dass sich diese Gruppe und ihre Familien bei künftigen Wahlen ihrer erinnert. Sind ja nicht Wenige.
Die GROKO in spe hat alles getan, auf dass die SPD-Basis nun nur ja getrost dem Koalitionsvertrag zustimmen kann, damit endlich regiert werden kann.
Auf die Posten, fertig, los!
Aus dem Artikel: „Was tun? Sich zusammenschließen, sich wehren, sagten einige. “Warum gehen wir nicht auf die Straße, so wie in Griechenland oder Portugal”, fragte eine Teilnehmerin.“
Was hat es Griechenland und Portugal, übrigens auch Spanien, Zypern und Irland, gebracht?
Ich hoffe sehr, wir werden es nicht doch noch erleben müssen, dass so viele auf die Straße gehen, dass es was bringt – nämlich einen wirklichen Aufstand, denn dann hat die asoziale Marktwirtschaft auch jene erreicht, denen es aktuell noch gut geht.
… aber, wenn es ganz „eng“ werden sollte, wird es der Lissabonner Vertrag schon richten!
Also nur keine Aufregung! Wieder beruhigt hinsetzen, Verstand abstellen, Fußball gucken und bei adäquaten Fernsehsendungen vom großen Geld für’s Shoppen träumen.
Brot und Spiele für’s Volk eben. Hat schon seit Urzeiten immer wieder prächtig funktioniert.