Albtraum Atommüll – Thema in „Brandts Kapellchen“
Red. Politik & Wirtschaft [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Atommüll aus Deutschland wird nach Russland verkauft. Mit dabei RWE und E.ON, die diesen über Gronau nach Russland verkauf(t)en.
Ein Milliardengeschäft für die beteiligten Konzerne. Hier wie in Russland. Ein nicht enden wollender Albtraum für die betroffene Bevölkerung in Russland.
Die teils bereits durchgerosteten Castor-Behälter lagern dort unter freiem Himmel. Genauso wie in Deutschland oder sonstwo auf diesem Planeten, ist die Endlagerfrage ungelöst.
Dieser Atommüll war Thema einer gemeinsamen Veranstaltung von IPPNW, Internationale Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung, des Friedensforums und TaK, Treff am Kapellchen.
- Hintergründe
- Russland
- Geschlossene Städte
- Milliardengeschäft
- Bevölkerung zahlt
- Hilfe aus Deutschland?
- Petition
„Kapellchen“ steht für Brandts Kapelle und ist untrennbar mit dem Volksverein Mönchengladbach verbunden. Genauso wie beides wiederum mit Edmund Erlemann, der den Abend moderierte und dessen kurze aber eindringliche Ansprache den Schlusspunkt der Veranstaltung bildete.
Referentinnen waren Svetlana Slobina, Journalistin aus Angarsk, Olga Podosenova von der Gruppe „Ecodefense“ aus Ekaterinburg, die zu deutschem Atommüll im benachbarten Nowouralsk arbeitet, sowie Tanya Novikova aus Belarus.
Sie ist die führende weißrussische Umweltaktivistin im Kampf gegen den geplanten Bau eines Atomkraftwerkes in Belarus. Im Rahmen ihres Kampfes gegen das AKW wurde sie kürzlich verhaftet und musste eine 5-tägige Arreststrafe absitzen.
Initiator der Veranstaltung war der Mönchengladbacher Bernhard Clasen.
In Angarsk, wo es eine Wideraufbereitungsanlage für Uran gibt, wird genauso wie z.B. in Nowouralsk, Majak, Sewersk, Krasnojarsk und anderen Orten abgereichertes Uran gelagert.
2007 wurde in Angarsk ein Aktivist während eines friedlichen Protestcamps getötet.
Der Protest gegen den Atommüll und seine katastrophalen Folgen für die Bevölkerung ist nicht nur gefährlich, sondern erzeugte auch schon unbegreifliche Handlungsweisen der Atomindustrie, wie z.B. den Transport per Luftfracht. Kosten von 10 Millionen Euro (!) rechnen sich offenbar, weil lästige Demonstrationen, die den Transport behindern, dann nicht stören.
Die ahnungslose Bevölkerung erfährt weder im Export- noch im Importland [LINK] etwas davon.
Dazu nahmen auch die Referentinnen Stellung, die in Russland so gut wie keine Informationen über die Atommülllager oder gar das Eintreffen „neuer Lieferungen“ erhalten. Erst im Zuge der Zusammenarbeit mit deutschen Anti-Atom-Bewegungen konnten Fortschritte erzielt und Informationen ausgetauscht werden.
Diese Zusammenarbeit halten die Aktivistinnen nach wie vor für erforderlich, nicht nur was Informationen anbelangt, sondern auch wegen der ebenfalls wichtigen moralischen Unterstützung.
Diese Zusammenarbeit ist seit Juli 2012 gefährdet, weil Präsident Putin ein Gesetz unterzeichnete, das NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) als „Auslandsagenten“ einstuft. Internationale Kritik daran konnte ihn und die beiden Kammern des russischen Parlaments nicht daran hindern [LINK], es im Schnellverfahren zu verabschieden.
Wie sich dieses Gesetz auch für die Aktivisten im Kampf gegen Atommülllager bemerkbar machen wird, ist derzeit noch unklar, lässt aber leider nicht viel Raum für Optimismus.
Russland selbst sieht in den mindestens nächsten zehn Jahren keine Alternative zur Atomenergie.
Vor nicht allzu langer Zeit berichtete die liberale Moskauer Zeitung „Kommersant“, dass Russland unbedingt zum Monopolisten unter den weltweiten Lagerstätten aufsteigen wolle.
Das scheint der deutschen Atomindustrie zu gefallen, denn Deutschlad beabsichtigt von 2012 bis 2015 rd. 174 Millionen Euro für den Bau eines gemeinsamen Atommüll-Entsorgungszentrums in Nordrussland zu investieren. Die Anlage entsteht in der Saida-Bucht in der Nähe von Murmansk.
Der Grund dürfte klar sein. Die Entsorgung von 20.000 Tonnen ausländischen Atommülls soll zwischen 16 und 20 Milliarden US-Dollar einbringen.
In den letzten 20 Jahren wurden 700.000 Tonnen radioaktiver Müll nach Russland geliefert. Wie die Zeitung „Kommersant“ berichtete, könnte das Atommüllaufkommen dank einer im November 2010 mit den USA ausgehandelten Vereinbarung auf 1,4 Millionen Tonnen steigen!
In Angarsk lagert auch Atommüll aus Gronau. Allein in den Jahren von 1996 bis 2009 hat die in Gronau ansässige Firma „Urenco“ nach eigenen Angaben 27.300 Tonnen abgereichertes Uranhexoflorid (UF6) nach Russland transportiert.
Die Menschen sind gegen die Atommülllager, aber unternehmen aus den verschiedensten Gründen nichts. Ein Grund ist mit Sicherheit und nachvollziehbar Angst.
Dazu kommt die Problematik der „geschlossenen Städte“. Korrekte Bezeichnung: Geschlossenes administrativ-territoriales Gebilde.
Das sind Städte oder Gebiete mit Reise- und Aufenthaltseinschränkungen auf dem Gebiet von Russland bzw. der ehemaligen Sowjetunion, mit Zutrittsverbot oder -beschränkungen sowohl für russische Staatsbürger als auch Ausländer.
Städte, die nicht auf in der Sowjetunion frei erhältlichen Landkarten verzeichnet waren. Dies betraf unter anderem Städte, die eine besondere Aufgabe im Rahmen des sowjetischen Atombombenprojekts hatten. In einigen dieser Städte bestanden zeitweise sogar Beschränkungen für die ansässige Bevölkerung [LINK], diese zu verlassen.
In solchen Städten ist der Druck groß und die Leute schweigen. Zutritt ist nur mit entsprechendem Ausweis oder Genehmigung möglich.
Seit November 2001 herrscht in 90 „geschlossenen Städten“ in Russland ein Besuchsverbot für Ausländer. [Quelle: Blacksmith Institute, New York – LINK]
Das Schweigen der Bevölkerung ist also keineswegs verwunderlich.
Die Bevölkerung wird nicht gefragt und ist machtlos. Dennoch regt sich Widerstand. Auch in Irkutsk, der Nachbarstadt von Angarsk, die rd. 50 km entfernt ist.
Den Menschen wird nicht die Wahrheit gesagt, sondern z.B. erklärt, dass der „Wertstoff“ [= Atommüll] zum Preis von Toilettenpapier (so lautete wirklich die offizielle Kommentierung) gekauft wurde. Stellt sich also automatisch die Frage warum diese „Schnäppchen“-Geschäfte überhaupt zustande kommen.
Hinter diesen Geschäften stehen Milliarden, die die Akteure verdienen. Die Atomindustrie scheint weltweit dafür gesorgt zu haben, dass ihr die Gesetze, egal welchen Landes, zuarbeiten.
Ein Milliardengeschäft von dem in den betroffenen Städten kaum etwas ankommt. Gerne wird zudem auch in Russland das „Argument“ verbreitet, dass durch das Atommüllgeschäft Arbeitsplätze entstehen. Es sollen einmal 6.000 gewesen, inzwischen aber nur noch 1.500 fragwürdige Arbeitsplätze sein.
Aber, merkte Olga Podosenova an, selbst bei Schließung der Anlagen bedeute dies noch Jahrzehnte Arbeit.
Nicht nur in Russland gilt Atommüll als „Wertstoff“, denn als Müll deklariert, dürfte er nicht importiert werden.
Laut dem Atomgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt abgereichertes Uran als Wertstoff. Somit ist auch bei uns der Weg frei für den internationalen Handel.
Lediglich 5% des abgereicherten Urans werden derzeit u.a. für Uranmunition verwendet. Der Rest wird in vielen Städten Russlands, von denen weiter oben nur einige genannt wurden, gelagert.
Wobei Lagerung ein großes Wort für das ist, was in Russland offensichtlich darunter verstanden wird. Castorbehälter und Fässer lagern unter freiem Himmel, rosten, haben Lecks, die nicht nur den Boden, sondern vor allem auch das Grundwasser belasten.
Russlands Interesse an dem Atommüll liegt daran, dass hochangereichertes Uran in schwachangereichertes für den Einsatz in Leichtwasser-Reaktoren [LINK] umgewandelt werden kann.
Den Preis dafür zahlt die russische Bevölkerung.
Die Journalistin Svetlana Slobina aus Angarsk berichtete von Kinderkrebsraten in ihrer Stadt, die über dem Zweifachen des benachbarten Irkutsk liegen.
In Angarsk, das einer der Standorte des russischen Atomprogramms ist, wird vor allem abgereichertes Uran aus den Uran-Anreicherungsanlagen in Gronau und Almelo (Niederlande) verarbeitet.
Die medizinische Versorgung, nicht nur der an Krebs erkrankten Kinder, ist sehr schlecht. Es gebe Krebszentren, aber wenn Menschen austherapiert sind, ihnen also nicht mehr zu helfen ist, werden sie einfach nach Hause entlassen. Sie sind sich dann selbst überlassen, denn es gibt keine Palliativversorgung.
Deshalb sei es schon ein Fortschritt, dass es im örtlichen Krankenhaus nun wenigsten 10 Betten für Kinder gibt, damit diese in ihrer letzte Lebensphase entsprechender Behandlung und Betreuung erhalten. Man setzt sich sehr für ein Kinderhospiz ein.
Erst kürzlich sei ein eineinhalbjähriges Kind verstorben, bei dem man zunächst nicht einmal erkannt hatte, dass es an Krebs erkrankt war. Wie bei diesem Kind kommt oft jede Hilfe zu spät.
Ein 14 Jahre alter Junge aus Angarsk wird derzeit (erneut) in einer Onkologischen Klinik in Hannover behandelt. Zumindest konnten bisher Tumore operativ entfernt werden, inwieweit die Metastasen bekämpft werden können, ist noch vollkommen offen. Das Hauptproblem wird sein, wenn der Junge wieder nach Angarsk zurück kehrt. Er ist dann nicht nur wieder in der Umgebung, die die Krebserkrankung auslöste, sondern auch die medizinische Versorgung ist nicht dieselbe wie in Deutschland.
Die Journalistin berichtete, dass man bisher von der Stadtverwaltung Angarsk Daten über die Onkologische Abteilung des Städtischen Krankenhauses erhielt. Das geschehe nun nicht mehr, weil nicht mehr die Stadt, sondern der Kreis zuständig sei und dieser gibt keine Informationen heraus.
An Statistiken heranzukommen sei sehr schwer bis unmöglich.
Aber, so merkte sie an, man brauche nur über den Friedhof zu gehen, dann erkenne man wie auffällig jung viele Verstorbene waren.
Die Aktivistinnen hatten noch zur Amtszeit von Umwetlminister Röttgen bei diesem schriftlich angefragt, ob und inwiefern Deutschland Verantwortung für seinen Atommüll übernimmt oder wenigstens etwas unternimmt, um die Gefahr zu verringern.
Die ernüchternde Antwort des Umweltministeriums war, dass es sich bei dem Atommüll um Geschäfte zwischen zwei Unternehmen handele. Deshalb sei nun Russland Eigentümer und demzufolge in der Verantwortung.
Bei ihrer Vortragsreise trafen die Aktivistinnen in Berlin auch mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages zusammen. Diese wollen das Problem Atommüll noch einmal thematisieren.
Ob es etwas nutzen wird?
Die Aktivistinnen mahnten eindringlich, dass der einzige Weg aus diesem Dilemma der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie sei, der die Wiederaufbereitungsanlagen einschließt.
Selbst dann wird es noch Jahrzehnte dauern bis die Atommülllager endlich ihre Pforten schließen werden.
Wer in Deutschland aktiv werden möchte, kann eine Petition für besseren Strahlenschutz, insbesondere in der Umgebung von Atomkraftwerken unterzeichnen, der vor allem für Kinder wichtig ist:
http://www.ippnw.de/aktiv-werden/kampagnen/petition-fuer-einen-besseren-strahlenschutz.html