Hervorragende Aufführung von Lortzings Zar und Zimmermann im TIN
Red. Theater [ the_time('d.m.Y'); ?> - the_time('H:i'); ?> Uhr]
Da geht man ins TIN und rechnet nicht damit, daß man frohgelaunt und zufrieden das Haus wieder verlassen kann. Verrechnet!
Es war ein Abend, den man in seiner Erinnerung nicht missen möchte. Eine Superspiellaune der gesamten Mitwirkenden. Hierzu später.
Lortzing, der ja in seinem Leben nicht auf Rosen gebettet war, schrieb hier zu einer französischen Vorlage eine Geschichte über Peter den Großen, der sich nicht zu schade war, selbst im kleinen holländischen Ort Saardam die Kunst des Schiffsbaus zu erlernen, damit Rußland auch auf den Meeren respektiert werden sollte.
Hier herum rankt sich eine Liebesgeschichte, die launig durch allerlei Wirrungen doch noch zu einem guten Ende kommt, außerdem fügte Lortzing die Figur des schrulligen, von sich selbst überzeugten Bürgermeisters van Bett ein. Eine erfolgssichere Partie für einen Bassisten mit einer guten Vis Comica.
Das Regieteam Michael Sturm, Regie, und Stefan Rieckhoff, Bühne und Kostüme, verstand es, bis auf minimale Unverständlichkeiten, pralles Leben auf die Bühne zu bringen. Es war eine wahre Freude, hier zuzusehen. Aber warum wieder einmal schon im Vorspiel mit einer nicht verständlichen Handlung anzufangen?
Die Musik gibt den Mord an drei Menschen nicht her. Was soll die Figur des Kindes auf der Bühne? Zar Peter ist selbst vorhanden. Warum die Kletterei der Gesandten, des Zars und des kleinen Deserteurs Peter unter dem noch nicht gedeckten Tisch? Hier wäre doch sinnvoller gewesen, Tische an den Rändern des Bühnenportals zu stellen.
Das Sextett ist weiß Gott doch schwer genug zu singen. Selten hört man es gut oder zumindest tonrein.
Aber jetzt kommt das einfach Wunderbare.
Ein nicht nur spielerisch aufeinander eingespieltes Team, sondern auch hervorragende musikalische, gesangliche Leistungen. Man hört bei Lortzing, den man bösartigerweise den Mozart des armen Mannes nannte, nicht nur herrliche Arien, sondern auch Ensembles und Chöre, die sehr an Mozart erinnern. Hier fällt einem gleich dessen Cosi fan tutte ein.
Die gesangliche Krone des Abends gehörte Stefan Heidemann. Nicht nur, weil er als rennomierter Sänger sich nahtlos ins Ensemble einfügte, sondern auch, weil der Wohllaut seiner Stimme der Figur des Zaren gut anstand. Wer aber kommt auf den Einfall, beim Zarenlied dem Sänger hier ein Klaviergeklimpere vom Band zuzumuten? Hier hätte sich Heidemann gewiß als Gestalter erwiesen. Dies war aber so nicht möglich. Pfui!
Debra Hays hat scheinbar die ewige Jugend gepachtet. Aussehend wie ein junges Mädchen, mit absolut frischer Stimme, bot sie eine Marie, die man an vielen großen Bühnen nicht hat. In jeder Minute war sie die Marie. Ihre Duette mit dem Ausnahmebuffo Luis Lay, der genausogut den Chateauneuf hätte singen können, rissen mich vom Hocker.
Musikalisch und spielerisch ausgearbeitet bis ins Letzte. Luis Lay erfreute außerdem noch durch sein bewegliches Spiel und Mimik. Beide einfach Klasse.
Katharina Ihlefeld legte eine sehr stimmige Witwe Browe hin. Wegen ihr hätte die Partie sehr viel größer sein können.
Den meisten Applaus des Abends hatte natürlich Christoph Erpenbeck als skurriler Bürgermeister van Bett. Jede Bewegung war „van Bett“. Besser geht’s eigentlich nicht. Auch stimmlich kommt ihm diese Rolle, die für einen Spielbass geschrieben ist, sehr entgegen. Kaum ein Wunsch blieb hier offen.
Ein paar Extempores habe ich doch vermißt. Wie gern hätte man etwas über Politik, den Schuppen, in dem die Künstler sich abquälen müssen, gehört. Wurde das nicht gewünscht? Schade.
Die Singschule geriet ihm wie auch dem prächtig singenden Chor hervorragend.
Von den kleineren Partien ist die des Marquis v. Chateauneuf die bedeutendste.
Kairschan Scholdybajew sang sie auf italienische Manier, leider vermißte ich hier weitestgehend Legatophrasen. Den Akzent konnte man der Rolle zurechnen.
Die kleinen Rollen der Gesandten wurden von Hayk Dèinyan und Matthias Wippich verkörpert.
Leider hörte ich von Matthias Wippich im Sextett wenig. Eigentlich sollte hier beim a capella – Singen der Bass die tragende Funktion übernehmen. Das Sextett geriet blitzsauber, wurde aber, wie bereits vorerwähnt, von der Regie kräftig erschwert.
Der Chor unseres Hauses sang hervorragend und war in bester Spiellaune. Der wahrscheinlich von Luis Lay choreographierte Holzschuhtanz machte den Tänzern sichtlich Spaß (Den Zuschauern auch).
Wie immer an letzter Stelle, meist unverdient, Dirigent und Orchester.
Schon die spritzig und klangschön gespielte Ouvertüre ließ aufhorchen, es ging den ganzen Abend so weiter. Kenneth Duryea hatte die Sache im Griff. Dies ist nicht hoch genug zu bewerten, man vergißt meist über die Bühne, welch schwere Aufgabe das Orchester zu bewältigen hat. Es war ein Genuß.
Nur etwas störte mich. Den ganzen Abend hörte ich den Klang von Bühne und Orchester um Sekundenbruchteile versetzt. Liegt das an der diskreten Verstärkung?
Aber alles in allem: Ein wundervoller Abend, den man Jedem empfehlen kann. Das ist bestes Theater fürs Publikum. Das Publikum reagierte mit lebhaftem Szenenapplaus und großem Jubel am Schluß der Vorstellung
Hier passierte das, was man hier lange vermißt hat. Man wurde unterhalten, gerührt, zum Lachen gebracht, vielleicht auch zum Nachdenken.
Nochmals ein Bravo an alle Mitwirkende.
Herbert Rommerskirchen
1.
Huber schrieb am 18.10.2010 um 23:35 Uhr:
Seit Herr Rommerskirchen in der BZMG Kritiken schreibt, lese ich sie jedesmal mit großem Genuß. Lebhaft, farbig, offensichtlich fachkompetent. Bisher habe ich keine versäumt.
Ein unterhaltsamer Genuss, der den beschriebenen Originalen in nichts nachsteht!
Mehr davon!