Perspektiven für Mönchen­glad­bach – Teil II: Bürger­beteiligung [mit O-Ton]

Red. Politik & Wirtschaft [ - Uhr]

bürgerbeteiligungIn einem Interview berichtete Mönchengladbachs neuer Technischer Beigeordneter Andreas Wurff darüber, dass er in Dresden das Thema „institutionalisierte Bürgerbeteiligung“ (über die gesetzlichen Vorgaben z.B. nach dem BauGB hinaus) mit initiiert hatte und sieht darin auch für Mönchengladbach gute Möglichkeiten – wenn es denn politisch gewollt sei.

Hier einige Aspekte aus diesem Teil des Interviews:

  • Bürgerbeteiligung als Stärkung der Identifikation mit ihrer Stadt und als Mittel gegen Politikverdrossenheit
  • Bürgerhaushalt als Bestandteil von Bürgerverantwortung
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Hier dieser Interviewteil zum Nachlesen:

BZMG: … Beteiligung der Bürger … Leipzig ist, was Bürgerbeteiligung angeht schon sehr weit. Das geht bis hin ins Quartiersmanagement und sogar zur institutionalisierten Bürgerbeteiligung. Dort gibt es einen Mitarbeiter der Verwaltung, der nur für die Bürgerbeteiligung zuständig ist. War das in Dresden auch so?

Andreas Wurff: Ja, durchaus, über die institutionalisierte Bürgerbeteiligung hinaus wird dort auch Bürgerbeteiligung, unter Einbeziehung der Medien praktiziert.

Wir haben eine ganz neue Form des Dialoges mit dem Bürger begonnen.

Das  war einer der letzten Akte, den ich in Dresden mit initiieren und vornehmen konnte. Wir haben – lassen Sie mich das kurz schildern – einen Container gekauft, damit quasi ein “Vor-Ort-Büro” geschaffen, das wir für eine begrenzte Zeit, z.B. drei Monate maximal, an bestimmten städtebaulichen Brennpunkten der Stadt eingesetzt haben.

Dort waren wir vor Ort, zur Diskussion. Wir haben Planungen gezeigt, wir haben dort die Ideen der Bürger aufgenommen und das Ganze wurde durch einen entsprechenden Internetauftritt begleitet.

D.h. hier konnten die Bürger nicht nur vor Ort ihre Gedanken zu der städtebaulichen Entwicklung dieses besonderen, spezifischen Areals äußern. Sie konnten das auch über entsprechende Internetauftritte tun.

Und was wir zugesagt haben, ich glaube, das muss Verwaltung auch leisten, ist, dass wir alle Reaktionen der Bürger veröffentlicht haben. Ob sie uns gefallen haben oder nicht. Da wurde nicht gefiltert, was Verwaltungen schon einmal gerne tun. Vielleicht politisch auch gerne getan wird.

Da wurde ganz offen gesagt: das ist das, was die Bürger gerne wollen, und es ist die Frage: wie gehen wir damit um? Man wird natürlich nicht immer allem gerecht werden können, das ist, glaube ich, auch klar.

Das erwarten die Bürger auch gar nicht. Aber die Bürger erwarten einen fairen Umgang.

Wichtig ist es, deutlich zu machen, dass diese Beteiligung nicht so formalisiert abläuft wie in einem Bauleitplanverfahren. Da nimmt man die Stellungnahmen der Bürger entgegen und damit wird dann sicherlich so umgegangen, dass es eine Abwägung gibt.

Aber, diese Abwägung ist dann letztendlich eine, auf ursprünglichem Vorschlag von Verwaltung und Politik basierende.

Das ist ein ganz anderes Verfahren, als zu sagen: Bürger, ich nehme dich, egal womit du kommst, ernst, und es gibt auch eine Reaktion auf deine Äußerung.

Diese Reaktion ist seriös und ernst zu nehmend. Man akzeptiert sich auch in unterschiedlichen Meinungen, aber, und das ist auch die Erfahrung, die sich zeigt, es gibt natürlich Ausreißer.

Die wird es immer geben, aber das ist nicht die Regel. Das ist immer das, wovor Verwaltung letzten Endes Angst hat. Vor diesen Ausreißern in der Meinungsbildung.

Die Bürger sind aber viel vernünftiger und viel kreativer, als man denkt oder annimmt. Das ist die Erfahrung., Es gibt viele wirklich gute Ideen und ich glaube auch, Bürger sind kreative und zukunftsorientiert. Insofern ist es wichtig, Gedanken aufzunehmen.

Natürlich hat Verwaltung auch gute Ideen. Aber man merkt, dass Verwaltung ein Stück weit technokratischer denkt, als Bürger empfinden und wirklich für ihre Stadt wollen.

D.h. dieses Aufeinanderzugehen ist fruchtbar für beide Teile. Letzten Endes sind wir als Verwaltung und auch Politik für unsere Bürger da, und sollten deren Gedanken sehr ernst nehmen. Oft sind es auch Gedanken, die man aufgreifen kann, ja sollte.

Bürger sind bereit aktiv zu sein. Selber Verantwortung zu übernehmen. Das ist ein Punkt, den ich als ganz wichtig empfinde.

Ich darf noch einmal zurück kommen auf das “Tausend-Bäume-Programm”.

Die Idee ist ja nicht die, jetzt irgendwo wahllos Bäume zu pflanzen. Die Idee ist, über Patenschaften die Verantwortung für den öffentlichen Raum, für das jeweilige Umfeld zu fördern.

Und die Erfahrung ist – und das ist mir auch hier in Mönchengladbach schon ein paar Mal entgegen gebracht worden – dass man gerne bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Dass man gerne auch mitfinanzieren will, dass ein solcher Baum gestiftet werden kann. Die Stadt muss ihn natürlich einsetzen. Die Pflege erfolgt dann wieder über Pflegepatenschaften.

Das ist jetzt nur ein kleines Beispiel. Es geht jetzt gar nicht spezifisch um den einen Baum, sondern um die Idee, die eigentlich dahinter steht, dass Bürger wieder Besitz nehmen von ihrem Umfeld, von dem öffentlichen Raum.

Damit erhalten wir natürlich viele positive Effekte. Wir fördern das soziale Miteinander und Umfeld der Bürger. Wir bringen Leben in den öffentlichen Raum.

Ich glaube über die Verantwortung, die der Bürger dann für seinen Bereich bereit ist wahrzunehmen, erreichen wir auch die Situation, dass die Vermüllung und Verschandelung des öffentlichen Raumes, diese Effekte gibt es ja leider durchaus, dass so etwas in diesen Bereichen dann nicht mehr stattfindet.

Das denke ich, sind positive Effekte, die sich multiplizieren und sicherlich gut sind für eine Stadt. Da hört man dann nicht mehr, wie z.B. in Gladbach, na ja, das ist hier nicht so toll und andere Städte sind schöner. Nein. Das Bewusstsein für den eigenen Standort wird  dadurch sicher positiv beeinflusst. Das ist ganz wichtig, dass man sich zu seinem Standort, zu Mönchengladbach, und hier zu seinem Wohnquartier, bekennt

BZMG: Das erfordert natürlich auf der einen Seite, wie Sie schon sagten, dass Verwaltung zukünftig anders denkt. Nicht grundsätzlich – aber doch anders.

Erfordert auf der anderen Seite aber auch, dass der Bürger selbst anders denkt und auch lernt. D.h. lernen, auch ins Detail zu gehen. Dinge zu verstehen, die Verwaltung oder Politik sagen.

Aber bleiben wir bei der Verwaltung, wir sind ja nun einmal bei Ihnen und nicht bei der Politik. Wo der Bürger sich dann damit auseinandersetzt. Kritisch. Wie auch immer.

Haben Sie die Erfahrung in Dresden gemacht, dass das geschehen ist, dass der Bürger gelernt hat? Lernen wollte die Dinge zu verstehen, z.B. wie Verwaltung warum handelt?

Wurff: Ja, genau das Letzte, das ist, glaube ich, ganz wichtig, dass Verwaltung sich auch vermittelt und dass das Verständnis füreinander wächst.

Es ist ein Prozesses, dass Bürgerschaft auch “Verwaltungsdenken” unterstützt, wo sie unterstützenswert sind. Da gibt es durchaus Prozesse, die dazu führen, dass man zu einem gemeinsamen Auftritt, zu einem gemeinsamen Willen kommt.

Das ist schon ganz beachtlich gewesen, dass bestimmte Gedanken, die in der Bürgerschaft verhaftet sind, die durchaus auch dem Verwaltungsgedanken oft entsprochen haben, aber nie so reflektiert wurden, dazu geführt haben, dass es zu anderen Ergebnissen, anderen Denkprozessen gekommen ist.

Verwaltung und Politik – irgendwo ist das immer ein Zusammenspiel. Das eine beeinflusst das andere. Dadurch, dass es aber zu Artikulationsmöglichkeiten der Bürger gekommen ist,  sind deren Gesichtspunkte stärker in die Entscheidungsfindung von Politik und Verwaltung eingegangen.

Das ist ein ganz, ganz wichtiger Prozess. Natürlich versucht Verwaltung und auch Politik natürlich, in ihrem Sinne die richtigen Lösungen zu finden. Da ist ja keiner böswillig, sondern man versucht eigentlich nur das Beste.

Ob das aber das Richtige für den Bürger ist, wird eher selten hinterfragt.

Da ist es dann schon oft ein überraschender Prozess, dass, was Verwaltung und Politik als wichtig empfindet, die Bürger nicht unbedingt als wichtig erachten.

Dafür aber andere Dinge, die zwar auch im Fokus waren, an die man (die Verwaltung)  aber nicht primär gedacht hat.

Insofern ist es auch bei der Prioritätensetzung in einem Haushalt, und wir sind derzeit in den Haushaltsberatungen, da ist es ganz, ganz wichtig zu wissen: ja, was wollen die Bürger eigentlich?

Da meint man immer zu wissen, was die Bürger wollen und was für sie das Beste ist. In gutem Willen und Absicht natürlich, keine Frage.

Was es nun wirklich ist, findet man an Hand solcher Prozesse, die sich verstetigen müssen, sicherlich eher heraus. Insofern ist Bürgerbeteiligung in dieser Form sicherlich keine einmalige Geschichte, sondern es ist ein laufender Prozess der Teilhabe der Bürger an der Stadt.

Was ist eine Bürgergesellschaft? Es ist Leben! Insofern ist es, glaube ich, der richtige Schritt dort hin.

BZMG: Sie haben soeben den Haushalt angesprochen. Da fällt mir dann spontan Bürgerhaushalt ein. Beteiligung, zunächst im Kleinen, in Stadtteilen oder in Quartieren. Nicht nur die Frage: Was möchte der Bürger, sondern auch die Frage zu stellen: Weiß er denn auch was es kostet und wie es finanziert werden soll? Wäre es nicht auch hilfreich, ihn daran zu beteiligen?

D.h. ihm auch deutlich zu machen, dass das, was er gerne hätte, wie viel kosten? Sie sprachen von Patenschaften, dass er auch von der Seite her, mehr mit in die Verantwortung genommen wird oder mitbeteiligt wird?

Wurff: Ich denke, es ist ganz wichtig, dass deutlich wird, was etwas kostet, denn die Einstellung in unserer gesellschaft ist dann oft so: wenn es teuer ist, dann ist es auch etwas wert. Und was billig ist steht im schlechten Licht. Im schlechten Sinne, obwohl es gar nicht so sein muss.

Aber die Frage für Werte, nicht moralische Werte, sondern ökonomische Werte, ist sicher auch ganz wichtig, um deutlich zu machen, was kostet was. Wir können nicht alles haben und deswegen muss alles gegeneinander aufgewogen werden.

Es ist wichtig, die Bürger hier mitzunehmen. Als Sie gerade den Bürgerhaushalt dargestellt haben, ist mir noch eines eingefallen, was ich als sehr attraktiven Ansatz gefunden habe nämlich, dass Bürger selber lernen mit Geld umzugehen. Mit öffentlichen Geldern umzugehen. Mit ihrem eigenen Geld können sie natürlich umgehen, das voraussetzend.

Aber mit öffentlichem Geld umzugehen. Da gibt es wunderbare Beispiele.

Z.B. Berlin, die in bestimmten Stadtteilen d.h. Stadtteile ist noch zu groß, gerade in Berlin, also in bestimmten Quartieren, gewisse Gelder zur Verfügung gestellt werden.

Das ist nicht besonders viel, aber mit diesen Geldern können beispielweise Spielplätze angelegt, auch Straßenfeste durchgeführt werden, o.ä. Also das, was die Gesellschaft vor Ort als vordringlich, als wichtig empfindet. Auch für das Zusammenleben als wichtig empfindet. Das war auch die Idee: ein Straßenfest zumindest einmal mitzufinanzieren.

Jetzt bezieht man die Bürger mit ein, die Bürgersprecher. Auch in haushalterische Gedanken. Selbst wenn ein solcher Haushalt in einem Stadtteil von z.B. nur 20.000 EURO – um diese Größenordnung geht es da – umfasst.

Das ist natürlich nicht besonders viel Geld. Für dieses Quartier ist es aber schon ein Jahresbudget, mit dem man haushalten und planen muss, wie Gelder eingesetzt werden.

Es wird diskutiert und darüber  in einem entsprechenden Gremium abgestimmt, Nach den Ergebnissen dort werden Gelder dann eingesetzt und  ausgegeben.

So lernt man Prioritäten setzen. Zu fragen: Was ist wichtig für einen Stadtteil? Da geht es nicht nur darum Festchen zu feiern, also ein Bürgerfest. Das bekommen die Bürger ganz schnell heraus.

Dass es sicher ein wichtiger Punkt ist: das Miteinander. Das kann man selbstverständlich auch gestallten und mit unterstützen.

Da geht es aber auch ganz schnell darum: wie kann ich denn selber Gelder akquirieren durch Sponsoring u.ä? Wie kann ich mitwirken? Wen kann ich einbinden, um damit etwas für den Stadtteil zu kreieren? Das heißt lernen, das heißt Verantwortung zu tragen, damit umzugehen und Mittel richtig einzusetzen.

Das ist ein Effekt, der im Vordergrund steht. Das ist etwas, was man durchaus als Stadt tun kann. Die Beträge, um die es dabei geht, sind eigentlich im Verhältnis zum Gesamthaushalt eher  gering, aber es ist ein großer Schritt, Bürgern ein Stück Eigenverantwortung zuzumessen.

Die tragen sie im Privaten, warum sollten sie sie nicht auch im öffentlichen Bereich tragen?

Natürlich muss man sich dann als Bürgerschaft auch rechtfertigen. Warum gebe ich Gelder für das Eine und nicht für das Andere aus. Das ist etwas, woran man durchaus Geschmack finden kann und was die Politikverdrossenheit auf einer ganz anderen Ebene ein Stück weit zurückholt.

Dass man selber Verantwortung hat und dass man selber auch diese Verantwortung lebt.

Gut, das ist jetzt ein Berliner Beispiel, das ich zitiert habe, aber das sind Dinge, die kann man sehr einfach übertragen.

Ich denke auch, dass man sie auf Gladbacher Verhältnisse übertragen kann, wenn es denn politisch so gewollt ist.

Aber es führt wirklich dazu, dass man Bürger in die Verantwortung nimmt, dass Bürger gemeinsam mit der Verwaltung lernen, wobei Verwaltung ein Stückchen herausgenommen wird. Sie ist nur unterstützend tätig.

Die Bürgergesellschaft entscheidet z.B.: wir hätten gerne diesen Spielplatz. Wir sind gerne bereit dafür soundsoviel Geld auszugeben aus unserem Budget. Natürlich muss es dann die Verwaltung umsetzen. Aber dann auch dieses Miteinander zu leben, ich glaube das führt dazu, dass wir wieder ein bisschen zusammen rücken und gemeinsam an unserer Stadt arbeiten.

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