„Der liebe Gott sieht alles…“

Red. Neuwerk [ - Uhr]

… schmunzelte Pfarrer Till Hüttenberger in seiner Predigt am 15.05.2010 zu den Gemeindemitgliedern samt Kirmesvorstände der St. Barbara-Bruderschaft und der St. Maria-Jungesellenbruderschaft Neuwerk.

Gelungen schlug er dabei den Bogen auf die Sorgen des Alltags und Ängste der Menschen vor Veränderungen. Er bezeichnete damit auch das Spannungsfeld, in dem sich der Einzelne, aber auch Verantwortliche und Entscheidungsträger in Vereinen, Kirchen und Parteien im Allgemeinen und vor Ort bewegen. Doch lesen Sie selbst:

 

„Vielleicht kennen sie, kennt ihr es noch, das Gottesbild, in dem viele von uns erzogen wurden: „Der liebe Gott sieht alles“.  Und es war vielleicht gut gemeint, aber man  hat doch nicht wenigen den Glauben und das Gottesbild nachhaltig verdorben:  Ein hochmoralischer Gott, der alles sieht und dann auch entsprechend bestraft. Eine Spaßbremse erster Güte.  Vor so einem möchte man sich am liebsten verstecken.

Aber welch ein Gott begegnet uns hier im Evangelium, das wir eben gehört haben.

Nicht ein strenger moralischer Beobachter und Richter unseres Treibens, sondern  eine Tür, eine Tür zum Leben.   Da spricht Jesus: Ich bin die Tür zum Leben. Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt.

Der Glaube: eine offene Tür zum Leben.  Also gehört er mitten in das ganze Leben hinein. Auch in die Kirmeszeit, nicht nur als Pflicht und Tradition, sondern aus innerer Überzeugung. Eine Tür zum Leben will auch das alljährliche Feiern sein.  Und wir feiern, Kirmes, nach gutem Brauch, wie jedes Jahr.

Es ist eigentlich schön wie immer, oder? Auch  das Wetter scheint nach den kalten und trüben Regentagen mitzuspielen und dem Zapfenstreich, den Prunk und die Paraden nicht zu verderben.  Wir hatten ein wenig Angst, dass es nass wird dieses Jahr. Hoffen wir das Beste.

Doch was ist schon ein wenig Angst vor dem Wetter gegenüber den größeren Ängsten, die viele von uns in diesen Tagen beschäftigen.  Wir dürfen  es ruhig zugeben.  Auch wenn wir es zum Teil kaum wahrnehmen, wahrnehmen wollen und beiseite schieben: heimlich feiert immer auch Angst mit.

Ängste beschäftigen uns in diesen Tagen, und nicht zu knapp. Unsere Stadt ist überschuldet, Europa auch. Wir spüren, es wird Veränderungen geben müssen, Veränderungen, die wir fürchten:  Was wird uns die Zukunft bringen?  Für die Arbeit, für die Stadt, im sozialen Bereich, für die Rente, für die Kirchen.  Fragen über Fragen –  und Ängste….

Von diesen Fragen und Ängsten bleibt auch das Kirmes-Feiern nicht verschont.

Es wird für die Vorstände trotz klugen Handelns immer schwieriger, die nötigen Finanzen aufzubringen, die Werbung einzuholen, das Trommelgeld zusammenzubringen.

Das Geld sitzt bei vielen nicht mehr sehr locker und die Kosten steigen. Viele Gaststätten in Neuwerk haben geschlossen und bald gibt es kaum noch einen Ort, an dem man sich versammeln kann.

Viel Arbeit  lastet auf zu wenigen Schultern.  Der Nachwuchs fehlt nicht ganz, aber es könnten schon mehr sein.

Man merkt:  etwas verändert sich, ganz leise und unmerklich. Vielleicht auch nur die gewohnte Selbstverständlichkeit. Und das macht Angst.

Und als Präses der Junggesellen-Bruderschaft sehe ich auch manchmal mit Sorge, wie sich die Beziehungen der Bruderschaften zur Kirche entwickeln werden. Da ist auch nicht mehr alles selbstverständlich.

Welche Rolle wird die Kirche  für euch noch in der Zukunft spielen und für eure Kinder.  Welche Rolle der Glaube?

Wir verändern uns.  Die Kirche verändert sich. Die Gesellschaft verändert sich. Meist langsam und kaum wahrzunehmen, dann aber auch heftig wie in diesen Tagen, wo wir es  deutlich spüren.

Veränderung erzeugt Ängste.

Aber die Angst muss nicht lähmen. Sie kann uns wachmachen, helfen, wahrzunehmen, was dran ist, damit wir Zukunft gestalten. Leben ohne Veränderung ist Stillstand und  Weide.

Also  klagen wir nicht! Sind schwierige Zeiten etwas Neues? Unsere Gesellschaft hat  Kriege und Krisen überstanden.

Und wenn wir in die Geschichte der Kirchen und der Bruderschaften schauen, dann sehen wir immer wieder schwierige Zeiten, an denen Neuanfänge gewagt werden mussten und auch gelangen.

Und in all das hinein, in alle Ängste hinein – das Versprechen Jesu: ich bin gekommen, dass sie leben und ein Leben in Fülle haben.

Widerspricht sich das nicht? Die Fülle und die Angst? Nein! Ängste gehören zum Leben in Fülle dazu. Und auch die Angst, die uns aufmerksam macht, für das was dran ist.

So wie der Sommer den Winter braucht, wie die Jungen die Alten und die Alten die Jungen, so wie das Lachen auch nichts wäre ohne die Fähigkeit zu weinen, das Fest nichts ohne den Alltag, den es durchbricht, so gehören auch leichte und schwierige Zeiten zum Leben hinzu, zu einem Leben in Fülle.

Doch wo ist der Kompass der anzeigt, wo es langgehen kann, der uns zuversichtlich machen kann, dass die Richtung stimmt? Dass die Türen zum Leben sich öffnen auf Weiden des Lebens.

So ein Kompass will der Glaube sein.

Da stellt sich Jesus im Evangelium vor als ein Türhüter eines großen Schafstalls.

So ein Türhüter hat eine doppelte Aufgabe. Er passt auf, dass nicht die falschen Leute hereinkommen, er bewacht und schützt.

Und ein Türhüter öffnet Türen.  Er öffnet die Tür für die Schafe, damit sie hinausgehen können in gutes Land und auf  saftige  Weiden. Der gute Türhüter, der gute Hirte, weiß was die Schafe brauchen. Und er weiß wo die guten Weiden sind. Und er will, dass sie  Leben haben und das Leben in Fülle haben.

Ein Leben in Fülle!  Soll nicht auch das Feiern auch in trüben Zeiten genau das sein: nicht Flucht aus der Welt, Ablenkung vom Alltag, sondern Hoffnungs- und Erinnerungszeichen für ein  Leben in Fülle.

Solange die Schafe ihren Türhüter nicht vor die Tür setzen,  dürfen wir gewiss sein:  Es gibt immer eine gute Zukunft,  solange wir uns das Vertrauen bewahren, in den der für uns Kompass und Fundament sein will.  In Gott, unseren guten Hirten, unserer Bewahrer und Begleiter, der unsere Türen öffnet.

Schwierige Zeiten erfordern Bewegung.  Wir brauchen weiter Ideen, wohin es gehen soll. Wir müssen uns noch stärker aufeinander zu bewegen als bisher, in den Gemeinden, unter den Kirchen, auch im Verhältnis von Neuwerk und Bettrath. Denn wir brauchen uns.

Aber vor allem ist wichtig, dass wir unsere Tür zur Fülle des Lebens nicht verschließen.

Diese Tür ist offen, das ganze Jahr, auch in Zeiten der Krise.  Hineingehen müssen wir schon selbst. Und auch hinausgehen, voller Vertrauen in Gott, den Guten Hirten, der uns begleiten will auf Weiden, die auch in Zukunft noch saftig sind.“

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Till Hüttenberger ist Pfarrer der evangelischen Friedenskirchengemeinde Mönchengladbach im  Bezirk Neuwerk und Bettrath-Hoven und Präses der St. Maria-Junggesellenbruderschaft Neuwerk. Seinen Ausführungen ging die Lesung aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 10 voran.

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